Auf der Suche nach dem gelobten Land

Segelboot im Sonnenuntergang

Gemeinfrei via unsplash/ Katherine McCormack

Auf der Suche nach dem gelobten Land
Die geheimnisvolle Seereise des irischen Mönches Brendan
11.10.2020 - 08:35
10.10.2020
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 "Am Sonntagmorgen" im Deutschlandfunk zum Nachhören und Nachlesen

 
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Als sie mit dem Schiff weiterfuhren, sahen sie den Himmel schöner und die Luft klarer und das Tageslicht größer werden, und sie hörten Vögel vielstimmig und lieblich singen, und so groß waren die Freude, die Erquickung und das Wohlgefallen, welches Sankt Brendan und seine Brüder empfanden, als sie all diese kostbaren Dinge sahen, hörten und anbeteten, dass ihnen von der Süßigkeit fast die Seele aus dem Leib entfloh. (…) Nachdem sie Gott gepriesen hatten, gingen sie an Land und sahen eine Gegend, die köstlicher war als jede andere durch ihre Schönheit und die wunderbaren, anmutigen und gefälligen Dinge, die dort vorhanden waren: klare und kostbare Flüsse mit überaus süßem, frischem und sanftem Wasser, vielfältige Bäume mit köstlichen Früchten sowie Rosen und Lilien und Veilchen und Kräuter und alles, was wohlriechend ist. (1)

 

Ein Sehnsuchtsort wird hier beschrieben; das Ziel einer langen, an wunderbaren und gefahrvollen Begebenheiten reichen Seereise. Unternommen hat sie der Überlieferung nach der im sechsten Jahrhundert lebende irische Mönch Brendan. Bald wurde davon erzählt und auch geschrieben. Die auf Latein verfasste „Seereise des heiligen Abtes Brendan  „ aus dem 9. oder 10. Jahrhundert war in ganz Europa verbreitet und beliebt. Sie regte nicht nur zahlreiche weitere Fassungen an, Brendans wundersame Insel wurde auch Bestandteil mittelalterlicher Weltbeschreibungen. So schrieb der gelehrte Benediktinermönch Honorius von Autun gegen 1120 in seiner Schrift De imagine mundi:

 

Es gibt im Ozean eine Insel namens Perdita, durch ihre Lieblichkeit und Fruchtbarkeit die schönste der Erde, welche den Menschen unbekannt ist. Und wenn man sie zufällig findet, trifft man sie später nicht mehr wieder, und deswegen heißt sie Perdita. (2)

 

Als perdita, als verloren, nur zufällig erreichbar und danach nicht mehr aufzufinden wird Brendans Insel hier beschrieben. Etwas, wonach die Sehnsucht nicht erlischt. Eine Sehnsucht, die kaum zu stillen ist. Brendan hatte davon durch den Besuch eines Abtes erfahren. Der erzählte, wie er zu einer Insel gefahren sei, die das   „verheißene Land der Heiligen  „ genannt wird.   

 

Es verging etwa eine Stunde, bis plötzlich gleißend helles Licht uns umstrahlte und sich vor uns ein weites, üppiges und äußerst fruchtbares Land auftat. … Alle Pflanzen standen in voller Blüte, kein Baum war ohne Frucht, und selbst die Steine dort sind wertvoll. (3)

Die Erzählung des Abts war wie ein Lockruf für Brendan. Er, der den Beinamen der Seefahrer trägt, war wie viele irische Wandermönche weit ins Meer hinausgefahren, hatte Inseln entdeckt, zahlreiche Klöster und Mönchskolonien gegründet. Die Suche nach dem   „verheißenen Land der Heiligen  „ sollte der Höhepunkt seines Mönchslebens sein. Mit einer Schar Gefährten baute er ein hölzernes kleines Schiff, mit Rinderhaut bezogen und Fett bestrichen, und stach in See.

 

Westwärts, wie es Abt Barrind berichtet hatte, fuhr Brendan, um das   „verheißene Land der Heiligen  „ zu finden. Im Westen lagen nach alter irisch-keltischer Vorstellung die Inseln der Anderswelt, einer Parallelwelt zur Alltagswelt, bevölkert von Göttern, Geistern, Riesen, Elfen und Feen. Brendans Seereise zeigt manche Verwandtschaft mit der irisch-keltischen Kultur, vor allem mit dem Erzählgenre des sogenannten Immram, wie die Historikerin Judith Klinger weiß:

 

Darunter versteht man Erzählungen von Seereisen, die in abenteuerliche Gebiete, insbesondere aber auch in Anderswelträume führen. Die Gemeinsamkeiten sind zunächst mal sehr sehr deutlich. Da ist zum einen die geographische Komponente, es handelt sich um Inselreisen. Und dann die gemeinsame Frage, die sich sowohl den, sagen wir mal, irisch-mythologisch fundierten und den eher christlichen Texten stellt, ist die Frage nach dem Übergang in einen transzendenten Raum, also aus dem menschlichen, irdischen, sterblichen Raum hinaus in eine andere Welt, eine jenseitige Welt.

 

Diese jenseitige Welt ist in den irisch-keltischen Sagen und Märchen oft nur durch eine Art Schleier von der menschlichen geschieden, häufig in Form von Nebel.

 

Das ist ein ganz typisches Motiv tatsächlich von Anderswelterzählungen irisch-keltischen Ursprunges, wo der Nebel eben genau diese Uneindeutigkeit des Aggregatzustandes dieses Ortes fassbar macht. Ja, ist es Wasser, ist es Luft, ist es fest? Man kann das gar nicht ganz genau beschreiben. Und zugleich reflektiert das Erscheinen des Nebels, durch den man hindurch muss, ja auch die Veränderung der Wahrnehmungsbedingungen. Man sieht erstmal nichts mehr. Man sieht nicht, wie weit weg ist das, wo bin ich eigentlich, wo ist die Grenze?

 

So ist Nebel das Durchgangstor in eine andere Welt, auch auf Brendans Seereise. Es gibt weitere Ähnlichkeiten wie sprechende Vögel oder seltsame Zustände des Meeres, das durchsichtig oder dickflüssig wie geronnen sein kann. Solche Erscheinungen tauchen auch im wohl berühmtesten Immram, der Seereise des Helden Maeldun, auf. Dort gibt es wie auf Brendans Fahrt das festliche unbewohnte Haus, in dem wie von Geisterhand immer für Nahrung und Wohlergehen gesorgt ist. Diese erste wunderbare Inselstation ist für Brendan und seine Gefährten wie eine Einstimmung auf das Ziel der Reise und alles Wunderbare, das ihnen unterwegs begegnet.

 

Die zweite Station der abenteuerlichen Seefahrt ist die Insel der Schafe, dicht bedeckt mit den weißen Tieren, die größer als Kühe sind. Es ist Gründonnerstag, als die Reisegesellschaft die Insel erreicht. Sie bleibt bis Karsamstag. Ostersonntag verbringt sie auf einer nahe gelegenen Insel.

Die ist ungewöhnlich flach und es fehlt ihr fast gänzlich an Vegetation. Nur etwas Schwemmholz liegt herum. Die Gesellschaft feiert Gottesdienst. Danach wollen Brendans Gefährten eine Mahlzeit zubereiten, entfachen ein Feuer und stellen einen Topf darauf.

 

Als sie aber das Feuer mit Scheiten schürten und der Topf am Kochen war, begann sich die Insel plötzlich wie Wogen auf und ab zu bewegen. Die Brüder stürzten zum Schiff. (…) Sie ließen alles, was sie mitgebracht hatten, auf der Insel zurück und ruderten los. Die Insel aber schoss hinaus in den Ozean. Das Feuer konnte man noch über eine Entfernung von zwei Meilen sehen. Der heilige Brendan klärte seine Mannschaft auf:   „Das war keine Insel, sondern ein Fisch, der größte aller Meeresbewohner. Er versucht immer, mit seiner Schwanzflosse den Kopf zu erreichen, aber er schafft es nicht, weil er so lang ist. Er heißt Iasconius.“  (4)

 

Weniger unheimlich, aber nicht weniger wunderbar ist die nächste Station. Dort sitzen über einer Quelle in einem ungewöhnlich großen Baum wie Blattwerk dicht an dicht weiße Vögel. Es sind Himmelswesen, die rastlos umherziehen, aber an Sonntagen und zu den großen christlichen Festzeiten auf die Insel kommen, Vogelgestalt annehmen und Gott preisen mit Gesängen. Es sind die Psalmengesänge und Hymnen der Stundengebete der Mönche, die sie singen. Und es ist die Liturgie der Mönche, die Brendan und seinen Gefährten den verlässlichen Rahmen gibt auf ihrer seltsamen Fahrt in der Weite des Ozeans. Wichtig ist vor allem der österliche Festkreis bis zu den Pfingsttagen.

 

Dieser österliche Zeitpunkt, dieser allerhöchste Feiertag des Christentums mit der Passion und der Auferstehung Christi bildet sozusagen die Achse dieser Reise. (…) Nicht zufällig … Ostern, denn nicht nur ist Ostern der höchste Feiertag, sondern es geht ja mit dieser Vorstellung von dem Sterben Christi am Kreuz und der Auferstehung eben auch genau dieses Versprechen einher, dass man nämlich die irdische Welt überschreiten kann und in einen jenseitigen Raum gelangen kann.

 

Das können die Reisegefährten, wie einer der Vogelgeister sagt, erst, nachdem sie siebenmal Ostern und Pfingsten gefeiert haben. Und immer an denselben Orten: auf der Insel der Schafe, auf dem Rücken des Fisches Jasconius und hier im Paradies der Vögel. Dann erst werden sie ihr Ziel, das   „verheißene Land der Heiligen  „, erreichen. So sind die Reisegefährten auf dem Weg. Sie erleben manch gefahrvolle, aber auch wundersam-berückende Situationen: Meeresungeheuer und Riesenvögel drohen sie zu vernichten. Apfelgroße Weintrauben und saftige ballgroße Früchte stärken sie. Sie lernen ihnen unbekannte Mönchsgemeinschaften kennen, die sie in Staunen und Bewunderung versetzen. Und treffen mitten im Meer auf eine Kristallsäule.

 

Als sie herangekommen waren, versuchte Brendan, die Spitze zu erblicken, konnte das aber wegen der Höhe der Säule nicht, denn sie reichte weit über die Region der Luft hinaus. Außerdem war sie von einem weitmaschigen Netz überzogen. Die Maschen waren so weit, dass das Schiff durch die Öffnungen hindurchfahren konnte. Sie fuhren hinein und blickten sich nach allen Seiten um. Da bemerkten sie, dass das Meer so klar war, dass es wie gläsern wirkte und sie alles unter sich betrachten konnten. Sie konnten bis zum Sockel der Säule und dem untersten Teil des Netzes schauen, das am Meeresboden lag. (5)

 

 

 

Die Kristallsäule im Ozean ist wie eine Vorausnahme des wunderbaren Ziels, zumal Brendan in der Säule ein Fenster mit einem Abendmahlskelch und einer Hostienschale entdeckt. Bevor sie endlich den Ort ihrer Sehnsucht erreichen, müssen sie noch eine letzte Gefahrenzone bestehen: die Insel der Schmiede, von Schlacke bedeckt, grausig lärmend von Blasebälgen und den Schlägen der Hämmer auf Stahl und Amboss. Beim Anblick eines der rußschwarzen Bewohner der Insel drängt Brendan:

 

„Setzt die Segel höher und rudert, so schnell ihr könnt, dass wir der Insel entkommen!  „ Aber bevor er es ausgesprochen hatte, kam wieder dieses wilde Wesen an den Strand ihnen gegenüber gerannt. Es hatte eine Zange bei sich mit einem gewaltigen Klumpen glühender Schlacke, den es nach den Dienern Christi warf. Aber er traf nicht, der Klumpen flog über sie hinweg. Dort, wo er ins Meer fiel, begann es zu kochen, als ob es sich um den Einschlag eines Feuerbergs handelte und eine Säule aus Dampf stieg wie aus einem Feuerofen auf.“ (6)

 

Brendan und seine Gefährten sind in die Grenzbezirke der Hölle geraten, die gleich darauf in Gestalt einer Vulkaninsel erscheint. Hier wird besonders deutlich, dass Brendans Reise ein religiös-geistlicher Weg ist und nicht oder nicht vor allem eine Fahrt entlang realer Orte. Dennoch wurde das Ziel, das   „verheißene Land der Heiligen  „, seit dem 13. Jahrhundert auf Karten verzeichnet.

 

Auf späteren Karten sieht man dann Brendans Insel immer noch, aber so etwas in Richtung Atlantik verschoben, in Richtung Amerika. (…) Bis weit in die Neuzeit hinein hat man immer wieder versucht, sie zu finden. Sie ist in ganz vielen Atlanten auch noch der Neuzeit verzeichnet gewesen. Und es gibt viele Berichte darüber, dass man sie gesehen hat, nur erreicht hat sie irgendwie keiner.

 

Bis heute wird versucht, die Stationen von Brendans Seereise als reale Inseln zu deuten, auch, um ihn als frühen Entdecker Amerikas glaubhaft zu machen. Sein Ziel war ein anderes. Als er es erreicht, streift Brendan dort vierzig Tage umher, bestaunt und genießt seine Schönheit und Fruchtbarkeit. Muß aber, wie Abt Barrind, der ihm davon erzählt hatte, an dem Fluss, der die Insel teilt, Halt machen. Was dahinter liegt, wird er erst nach seinem Tod erfahren. Ein Engel sagt:

 

„Da liegt das Land vor euch, das ihr solang gesucht habt. Ihr konntet es nicht gleich finden. Gott wollte euch zuvor seine vielen Geheimnisse im großen Ozean zeigen. Kehrt nun zurück in euer Geburtsland! Der Fluss teilt das Land. So wie es euch erscheint reif mit Früchten, so wird es bleiben ohne jeglichen Schatten von Nacht. Denn sein Licht ist Christus.“ (7)

 

 

 

Musik dieser Sendung

 

  1. Jazz Age, Claire Dominique Guillot und Michel M’ba, New Age-Jazz-Nostalgic-Nature-World
  2. Earthrise, Lasse Enersen, Earthrise
  3. Metallobox, Jerome Rossi, Active Contemplation
  4. Research Zone, Euripides George, Phaser Trax
  5. Jazz Age, Claire Dominique Guillot, Michel M’ba, New Age-Jazz-Nostalgic-Nature-World

 

Literatur dieser Sendung

 

(1) Navigatio Sancti Brendani (10 Jh.) in: Umberto Eco: Die Geschichte der legendären Länder und Städte.

(2) Autun: De imagine munde von Honorius.

(3) Navigatio Sancti Brendani Abbatis: Kapitel 1: Barrinds Erzählung.

(4) Navigatio Sancti Brendani Abbatis: Kapitel 10: Jasconius.

(5) Navigatio Sancti Brendani Abbatis: Kapitel 22: Die Kristallsäule.

(6) Navigatio Sancti Brendani Abbatis: Kapitel 23: Die Insel der Schmiede.

(7) Navigatio Sancti Brendani Abbatis: Kapitel 28: Das verheißene Land der Heiligen.

10.10.2020
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