Glaube braucht das kritische Gespräch

Morgenandacht
Glaube braucht das kritische Gespräch
13.01.2016 - 06:35
27.12.2015
Ulrike Greim

„Die Gottlosen sollen zu den Toten fahren, alle Heiden, die Gott vergessen!“

Ein Zitat aus dem Koran? In einer christlichen Morgenandacht? Nein. Noch eine Kostprobe:

„Ich will meinen Feinden nachjagen und sie ergreifen und nicht umkehren, bis ich sie umgebracht habe. Ich will sie zerschmettern, dass sie nicht mehr aufstehen können; sie müssen unter meine Füße fallen.“

Ich zitiere aus der Bibel. Psalm neun und Psalm 18.

Ja – auch die Bibel kennt das Racheprogramm. Nicht zu knapp.

„Gelobt sei der Herr, mein Fels, der meine Hände kämpfen lehrt, und meine Fäuste, Krieg zu führen.“ So heißt es im Psalm 144.

Diese Stellen gehören nicht zu denen, die man auf Postkarten druckt mit einem Sonnenuntergang drauf. Oder die sich jemand als Konfirmationsspruch aussucht. Wobei – das würden 14jährige gut verstehen: Feinden nachjagen dürfen und sie ergreifen, nicht eher umkehren, als man sie umgebracht hat. Das sehen sie in jedem Action-Film. Passt aber nicht ins gängige Bild von unserer Religion.

Das sind auch nicht Verse, die man in kleinen Heftchen festhält und jungen Soldaten mitgibt. Oder gibt es das? Ich hoffe nicht!

Im Islam schon. Da gibt es diese Heftchen. Ich hatte neulich eines in der Hand. Hätten die anwesenden Moslems den Anweisungen Folge geleistet, wäre ich eine tote Frau gewesen. Als Ungläubige – aus ihrer Sicht. Als Gottlose.

Gott sei dank hielt sich keiner daran. Im Gegenteil: Wir haben geredet, wurden zum Tee eingeladen, haben uns am Ende freundschaftlich die Hände geschüttelt. In der Moschee bei mir um die Ecke.

Der Islam ist eben immer so gut oder so schlecht, wie er gelebt wird. Wie das Christentum eben auch. Und wie Religion gelebt wird, das bestimmen zu guten Teilen die Geistlichen.

Ein Vorteil der christlichen Religion ist: Die Geistlichen hier bei uns müssen studieren. Theologie. Das ist eine eigene Wissenschaft. Da wird zum Beispiel erforscht, wann genau wo ein Text der Bibel geschrieben wurde. Und für wen. Das ist wichtig, um ihn heute einordnen zu können, um ihn nicht eins zu eins zu übernehmen.

An den Fakultäten wird diskutiert, kritisiert, historisch-kritisch untersucht, man darf verschiedener Meinung sein. Man darf und soll Kommentare lesen, die sich untereinander heftig widersprechen. Das ist gut so.

Jeder Glaube braucht kritisches Gespräch. Sonst erstickt er.

Auch der Islam. Er braucht Kritik, er braucht Gläubige, die nachfragen. Die verschiedener Meinung sind. Die fragen, worum es im Kern geht. Fundamentalisten mögen so etwas nicht. Sie haben sich im Islam durchgesetzt. Und jetzt die Terroristen. Gnade ihnen Gott.

Was lernen Theologinnen und Theologen? Sie lernen zum Beispiel, die Genre zu unterscheiden. Die Sätze zu Rache, Feinden, Vergeltung und Gewalt zum Beispiel sind in den Psalmen aufgeschrieben, d.h. in Gebeten - und d.h. sie werden Gott vorgelegt. "Mein ist die Rache", sagt Gott und nimmt sie den Menschen seines Volkes aus der Hand.

Sie lernen damit auch, dass Gott selbst mit seinem Volk im Gespräch ist. Dass er mit sich reden lässt. Widerspruch duldet. Sich umstimmen lässt. Er will ein selbstbewusstes Gegenüber. Keinen, der blind folgt.

Sie lernen, dass sie mit ihrem gesunden Menschenverstand gefragt sind.

Vielleicht jetzt sogar einmal mehr. Weil wir nun auch wir Christen wieder ein klein wenig mehr über unsere Bibel sprechen. Und unsere Traditionen. Und unseren Glauben.

Durchaus mit dem Mut zur Lücke. Es ist in Ordnung, auch mal nicht zu wissen, wie es gemeint sein könnte. Zum Beispiel wenn es in Psalm 137 heißt – bitte festhalten: „Wohl dem, der deine jungen Kinder nimmt und sie am Felsen zerschmettert.“ Oder in Psalm 58 heißt es: „Der Gerechte wird sich freuen, wenn er solche Vergeltung sieht, und wird seine Füße baden in des Gottlosen Blut.“

Schauerlich!! Einfach schrecklich! Nein. Ich habe für solche Sätze – auch gebetet – keinerlei Verständnis. Jesus selbst hätte sich vor die sogenannten Gottlosen gestellt. Aber das können wir gerne diskutieren.

27.12.2015
Ulrike Greim