Hunde im Morgenland

Wort zum Tage
Hunde im Morgenland
04.01.2020 - 06:20
05.09.2019
Evamaria Bohle
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Das Land geht vor die Hunde. Das ist das Mantra. Wer hat nur damit angefangen? Die Stimmen werden lauter, Stirnadern schwellen an, Hände springen auf in ratlosen Gesten. Erhobenen Zeigefingern, Mittelfingern, Fäusten. Wir schlagen uns und andere vor den Kopf und schießen mit scharfen Zungen. Wer nicht hören will, muss eben fühlen.

„Ich sehe was, was du nicht siehst“, skandieren manche. „Nein, wir sehen was, was ihr nicht seht“, rufen die anderen. Und niemand lacht. Nur Jan Böhmermann vielleicht. Wir anderen haben den Humor verloren, keiner weiß wo, tragen bunte Transparente und Fassungslosigkeit, gelbe Westen und Wut und verspotten uns gegenseitig. Und natürlich die da oben. Denen ist eh schon ganz schlecht, und sie denken über eine andere Karriere in der E-Mobilität nach. Oder so. Trolle und Experten twittern mit fliegenden Daumen bis die Timeline glüht: „How dare you!“ Und wohin geht das Land? Vor die Hunde.

Die hat wieder niemand gefragt, die Hunde. Sie winseln hinter Wohnungstüren, tragen Maulkorb in der Straßenbahn und toben mit dem Dogsitter und den anderen Vierbeinern durch das Hundeauslaufgebiet am Rand der Stadt. „Die wollen nur spielen“, versteht das Kind, das Hunde liebt. Hunde sind das Größte, und das Kind würde nur zu gerne in einem Land leben, das vor die Hunde geht: ein Golden Retriever wäre dabei, ein Basset, ein Irish Terrier und so ein fröhliches Fellknäuel wie Bobby von nebenan. Und alle hören auf das Kind, machen Männchen, springen durch Reifen und verbellen, wen es nicht mag. Ein Zeichen genügt. – Und das Kind malt sich mit sehr großen Füßen vor vielen bunten Hunden. Für Papa. Montags gehen sie immer demonstrieren. Oder freitags. Das macht Spaß, denn das Kind darf auf seinen Schultern sitzen und Bratwurst gibt es auch.

Das Land geht derweil an seine Grenzen. Auswandern ist keine Option. Das Land kommt hier nicht weg. Aber es schaut nach drüben. Auf die andere Seite, wo der Himmel bis auf die Erde reicht, das Gras von alleine wächst und alle Menschen das Talent zu lieben haben. Doch, das haben sie! „Hoffentlich kommen die Weisen bald“, denkt das Land. „Die aus dem Morgenland. Die Magier und Träumerinnen, die Intuitionskünstler und um die Ecke-Denker. Mit Sternen und Zukunft im Kopf. Und hoffentlich sind es mehr als drei, denkt es, Wir brauchen sie doch sehr.

 

 

Es gilt das gesprochene Wort.

05.09.2019
Evamaria Bohle