Verlorene Fahrkarten

Wort zum Tage
Verlorene Fahrkarten
28.09.2018 - 06:20
27.07.2018
Diederich Lüken
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Manchmal begegnet einem Menschen Gott auch in einem Bahnhof. Nein, es ist hier nicht die Bahnhofsmission gemeint. Ich spreche von einer Begegnung, die mich aus einer selbstverschuldeten Not befreite. Ich war noch Praktikant und hatte nicht viel. Mein letztes Geld gab ich für eine Bahnfahrkarte nach Hause aus. Vor der Heimreise von Hamburg aus leerte ich meine Taschen von den abgefahrenen Fahrkarten für die U-Bahn. Im Zug verlangte ein Kontrolleur meine Fahrkarte, und erst da merkte ich, dass ich die gültige Fahrkarte wohl mit den abgelaufenen zusammen weggeworfen hatte. Ich schwor dem Kontrolleur, dass ich die Karte gelöst hatte. Er gab sich zunächst damit zufrieden und meinte, er werde später noch einmal kommen. Er kam aber nicht, bis ich in Bremen umsteigen musste. Da stand ich nun im Bahnhof, ohne Fahrkarte und ohne Geld. Ziemlich ratlos trieb ich mich im Bremer Bahnhof umher, immer auf der Suche nach einer Lösung des Problems, die sich aber nicht einstellen wollte. Da plötzlich sah ich jemanden, den ich kannte und der mich kannte: ein Pastor meiner Kirche. Ich stürzte geradezu auf ihn zu und sagte: „Dich schickt der liebe Gott!“ Er schmunzelte und sagte: „Wieviel willst du denn haben? Denn so fangen sie alle an, wenn sie mich um Geld angehen wollen.“ Ich schilderte ihm meine Notlage, und tatsächlich, er rückte mit dem erforderlichen Geldbetrag heraus. Niemand war in diesem Augenblick glücklicher als ich. Flugs kaufte ich mir die Fahrkarte von Bremen nach meinem Zuhause und erreichte gerade noch den Anschlusszug. Als aber dort der Kontrolleur kam und meine Fahrkarte erblickte, schaute er mich prüfend und etwas irritiert an. Ich bin bis heute der Überzeugung, dass der andere Kontrolleur mit seinem Kollegen im Anschlusszug Kontakt aufgenommen hat und ihn vor mir gewarnt hat. Selbstverständlich konnte sich dieser nicht sicher sein, ob er wirklich den Fahrkartensünder vor sich hatte, und ging nach der Entwertung seiner Wege. Die Begegnung zwischen dem Pastor und mir kann man abtun als bloßen Zufall. Allenfalls spricht die Psychologie im Gefolge Carl Gustav Jungs von Synchronizität: zwei Ereignisketten, die zunächst nichts miteinander zu tun haben, kreuzen sich, und plötzlich geschieht etwas Neues: eine überraschende Einsicht, ein Fortschritt in einer seelischen Erkrankung oder auch, wie in meinem Fall, eine unvorhergesehene Hilfe in einer Not. Ich ziehe es vor, in diesem Fall von Fügung zu sprechen in dem Glauben, dass unsere Wege begleitet wurden von der Fürsorge Gottes.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

27.07.2018
Diederich Lüken