Ehrfurcht vor dem Leben

Morgenandacht
Ehrfurcht vor dem Leben
Ein evangelischer Beitrag zu Allerheiligen
01.11.2018 - 06:35
13.09.2018
Heidrun Dörken
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Wenn es im Protestantismus so etwas wie die Heiligsprechung gäbe, wie die Katholiken sie kennen – er wäre sicher ein Kandidat: Albert Schweitzer, der berühmte Urwalddoktor. Auch ohne eine solche Prozedur wird Albert Schweitzer noch lange nicht vergessen werden. Was er geglaubt hat und vor allem, wie er aus Glauben gehandelt hat, wird gerade wieder entdeckt. Wo es drängend ist, die Erde und das Leben darauf vor noch höheren Temperaturen zu bewahren.

 

Was Albert Schweitzer hinterlassen hat, kann man zusammenfassen mit den Worten von der „Ehrfurcht vor dem Leben”: „Ich bin Leben inmitten von Leben, das leben will”. Albert Schweitzer hat den Gedanken zu seiner Zeit als Urwaldarzt in Afrika entwickelt. Er hat damit eine Grenze überwunden, eine Grenze in seinem eigenen Kopf. Ihn hat beschäftigt: Wie muss heute eine Ethik beschaffen sein, das heißt, eine Lehre, wie wir uns gut und richtig verhalten? Die Grenze war die: Bisher war immer nur vom Verhalten der Menschen untereinander die Rede. Schweitzer merkte: Das reicht nicht. Er schrieb: „Es ging mir auf, dass die Ethik, die nur mit unserem Verhältnis zu den andern Menschen zu tun hat, unvollständig ist.” So fand er den Satz „Ich bin Leben inmitten von Leben, das leben will.”

 

„Ich bin Leben”, das verstehe ich. Und auch das andere auch: „Leben inmitten von Leben, das leben will.” Das ist ja die Grundlage für den Respekt, den wir unseren Mitgeschöpfen schulden. Aber was das Leben ist, das ist nicht so einfach zu sagen. Drei Worte gehören für mich dazu: Das Leben ist ein Wunder. Es ist ein Drama. Und das Leben bleibt ein Rätsel.

 

Das Leben ist ein Wunder. Wer das Staunen nicht verlernt hat, weiß, wie wunderbar es ist. Voll Schönheit, die einen überwältigen kann: Das Spinnennetz, das filigran im Morgentau glitzert. Die Zugvögel, die jetzt gen Süden ziehen. Das Meer, das stetig an den Strand rollt. Der unendliche, funkelnde Sternenhimmel. Und überhaupt, die unfassbare Vielfalt des Lebens hier auf der Erde, Milliarden von Geschöpfen, die doch ein sinnreiches Gefüge bilden. Darüber hinaus das unsichtbare Zusammenspiel der Atome und Moleküle, die Impulse der Nervenbahnen, das Herz, das unermüdlich schlägt. Und ich: mitten darin. Es ist ein Wunder.

 

Doch ist das Leben ist auch ein Drama. Es gibt Katastrophen und Leid, auch die, die nicht von Menschen gemacht sind. In der Natur gibt es keine Barmherzigkeit. Die Lebewesen leben voneinander. Die Löwin hat kein Mitleid mit der Gazelle, der Mensch keins mit der Kartoffel. Lebewesen sind gebrechlich und anfällig für Krankheiten. Wer Vollkommenheit, ständige Gesundheit, ewige Jugend erwartet, ist grausam auf dem Holzweg. Leben heißt auch: Leiden, heißt Tod.

 

Und so ist das Leben drittens ein Rätsel. Ich glaube nicht, dass wir je seinen Ursprung und innersten Sinn ergründen werden. Die Menschen sind berufen, mitzuarbeiten beim Bebauen und Bewahren der Erde. Aber sie benutzen dabei das bereitliegende Material. Sie können das Leben weder erfinden, noch ihm ein Ziel geben. Doch sie können es wie etwas Heiliges behandeln. Als religiöse Menschen mit einem staunenden Glauben, dass da Einer ist, der „alles in allem wirkt”, wie es mit einem biblischen Wort heißt. Eine schöpferische Energie, die alles beseelt. Auch mich, einen staunenden Menschen. „Ich bin Leben inmitten von Leben, das leben will.” (1)

 

(1) Ich verdanke Anregungen über Albert Schweitzer Gesprächen mit Dr. Wolfgang Hermann †, Helwig Wegner-Nord und Kirchenpräsident Dr. Volker Jung.

 

 

Es gilt das gesprochene Wort.

13.09.2018
Heidrun Dörken