Mit Tat und Wahrheit

Mit Tat und Wahrheit
25.09.2015 - 06:35
18.06.2015
Pfarrer Jost Mazuch

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Lasst uns Nächstenliebe üben – nicht mit Worten oder mit Lippenbekenntnissen, sondern mit  der Tat und mit der Wahrheit! Diese Aufforderung aus der Bibel (1) möchte ich den Menschen zurufen, die in dieser Woche an so vielen Orten über die Situation der Flüchtlinge gesprochen haben. Und gesprochen wurde ja viel über politische Konzepte und Entscheidungen. In Brüssel rangen die Innenminister der EU-Staaten um die Verteilung von gerade einmal 120.000 Flüchtlingen. Dann debattierten die Staats- und Regierungschefs über den Umgang mit den Flüchtenden an den Grenzen und außerhalb der EU. In Berlin trafen sich Bundesregierung und Landesregierungen, um über die notwendigen Gelder für die Aufnahme der Flüchtlinge zu verhandeln.

Diese politischen Verhandlungen sind notwendig, so spät, zäh und nervenaufreibend sie auch sein mögen. Doch Politik ist nicht das Wichtigste bei der Flüchtlingshilfe. Wenn es um das Leben und das Schicksal von Menschen geht, muss erst einmal  Raum sein für menschliche Nähe, für die Nächstenliebe. Nächstenliebe entspricht der tiefsten und zugleich einfachsten menschliche Regung: die da, die an den Gleisen entlang über die Grenze zu uns laufen, brauchen meine Hilfe. Die da mit den vollen Zügen erschöpft in meiner Stadt ankommen, sind Menschen wie ich auch. Die da in der Turnhalle untergebracht werden sollen, ihnen fehlt das Nötigste. Also muss ich etwas tun!

Tausende Menschen lassen sich von diesem Impuls leiten: ich kann und ich will etwas tun. Sie helfen in Kleiderkammern, in den Flüchtlingsunterkünften, in Sprachkursen, als Dolmetscher. Ein Vorbild für die Politiker, die sie ja vertreten. Auch die Mitarbeiter der Behörden, in politischen Gremien, in Hilfsorganisationen engagieren sich oft und leisten viele Überstunden, weil es jetzt nötig ist. In Köln, wo ich wohne, wurde in dieser Woche innerhalb von drei Tagen eine sogenannte „Drehscheibe“ eingerichtet,  ein Verteilzentrum für die Flüchtlinge, die aus Bayern nach Nordrhein-Westfalen kommen. Sofort meldeten sich über zweihundert Freiwillige, um dort mitzuarbeiten. Sie begrüßen die Ankommenden, versorgen sie mit dem Nötigsten: Getränke, Essen, Kleidungsstücke, medizinische Hilfe. Sie helfen den Schutzsuchenden, sich zurechtzufinden für den weiteren Weg in eine Unterkunft. „Refugees welcome“ haben sie auf ein Plakat geschrieben. Manche versuchen, über ein paar englische Sätze in ein Gespräch zu kommen.

Nächstenliebe ganz praktisch, tatkräftig. Gut, dass diese Botschaft in der Politik ankommt. Worte gehören dazu, aber sie können die Taten nicht ersetzen. So war es sicher ein Akt der Nächstenliebe, als Kanzlerin Merkel erklärte, dass Deutschland mehr Flüchtlinge aufnimmt als bisher. Diese Ankündigung jetzt in die Tat umzusetzen, ist eine große Aufgabe; wie sie geschafft wird, weiß heute noch niemand. Es wird viel Arbeit sein. Und es wird viel Geld kosten. Das auszusprechen, gehört zur Tat und zur Wahrheit der Nächstenliebe. Und auch dies: Praktische Nächstenliebe braucht Strukturen und Konzepte. Ehrenamtliche brauchen Vertrauen und Anlaufstellen. Flüchtlinge brauchen Integrationsprogramme, damit sie nicht fremd bleiben: Sprachkurse, Arbeitsvermittlung.  In vielen Städten gibt es zu wenig bezahlbare Wohnungen; daher müssen neue Wohnungsbauprogramme entwickelt werden.

Und für das alles sind politische Entscheidungen nötig, die bisherigen Konzepte und Vorschriften sind nicht dafür gemacht. So wird sich praktische Nächstenliebe auch in die politischen Debatten einmischen, wie es die evangelischen Kirchen in Deutschland und in Schweden in dieser Woche taten, als sie forderten, nicht neue Zäune aufzurichten, sondern sich auf eine effektive europäische Flüchtlingspolitik zu einigen.(2)

Was kann tatkräftige und wahrhaftige Nächstenliebe ausrichten? Wenn Sie mit mir darüber sprechen wollen, können Sie mich bis acht Uhr anrufen unter der Telefonnummer 030 325 321 344. Ich wiederhole: 030 325 321 344. Oder diskutieren Sie mit auf Facebook unter „deutschlandradio.evangelisch“.

 

  1. 1.Joh. 3,18
  2. Tiroler Tageszeitung / 21.09.2015 / http://www.tt.com/home/10535109-91/fl%C3%BCchtlinge---deutsche-koalition-entsch%C3%A4rft-asyl-gesetzespl%C3%A4ne.csp

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18.06.2015
Pfarrer Jost Mazuch