Das Wort zum Sonntag: "Ramadan, Zeiten des Verzichts"

Das Wort zum Sonntag: "Ramadan, Zeiten des Verzichts"
Pfarrer Ulrich Haag
18.08.2012 - 22:10

Die Siedlung in der ich wohne hat einen hohen Ausländeranteil und normalerweise geht es da sehr lebendig zu. Kinder spielen auf der Straße, die Familien sitzen vor den Häusern und meist raucht irgendwo ein Grill. Doch in den letzen Tagen: Stille. Die wenigen Erwachsenen, die man sieht, wirken missmutig und erschöpft. Es ist Ramadan, seit fast einem Monat. Das heißt: tagsüber nichts essen und nichts trinken, 30 Tage lang. Im August von morgens sechs bis abends nach neun. Körperlich für viele eine Qual, eine echte Entbehrung.

 

Für mich ist das schon beeindruckend, wie konsequent die Muslime in meiner Nachbarschaft den Ramadan halten. Wohlgemerkt: Ich rede von den normalen Gläubigen. Ich meine nicht die, die unsere Kultur verachten und erst recht nicht die, die im Namen Gottes Kriege erklären. Ich rede von denen, die am Montag wie wir zur Arbeit gehen, deren Kinder mit unseren Kindern eine Schule besuchen und die sich trotzdem von ihrem Glauben in die Pflicht nehmen lassen. Die ihre heiligen Schriften befolgen, und man merkt, dass ihnen das etwas abverlangt.

 

Wir haben in den christlichen Kirchen gleich zwei Fastenzeiten, eine vor Ostern, die Passionszeit, die andere im Advent. Nur: Im öffentlichen Leben ist davon nicht viel zu spüren. Alles funktioniert weiter wie sonst auch. Die Arbeit geht weiter, der tägliche Stau bleibt der gleiche, die Besorgungen und Sorgen. Damit alles reibungslos funktioniert, müssen eben auch die Menschen funktionieren, müssen ihre Leistung bringen, das ganze Jahr über. Die einzige wirkliche Insel sind die zwei bis drei Wochen Ferienhaus oder Sonnenstrand, von denen die meisten nun schon wieder zurück sind. Ich auch, und ich merke: Ich brauche mehr. Ich möchte meinen Urlaub nicht nur dazu nutzen, dass ich danach wieder rund um die Uhr belastbar bin. Ich brauche Zeit im Alltag. Ich sehne mich nach Ruhe. Ich möchte auf den Grund kommen, statt mich immer schon mit der nächsten und übernächsten Aufgabe zu beschäftigen. Eigentlich bräuchte ich auch mal einen kleinen Ramadan: Verzichten. Beten. Mich besinnen. Mich auf den besinnen, dessen Gebote höher stehen als alle menschlichen Normen.

 

Wie das wohl wäre, wenn auch die Christen solche religiösen Auszeiten wieder verstärkt für sich in Anspruch nähmen? Dann würden während der Passionszeit einfach weniger Termine gemacht, die Bänder laufen langsamer, die Börsen reagieren gelassen, einfach weil allen klar ist, es ist Fastenzeit, da können wir nicht so wie sonst. Wenn wir uns zu vorgegebenen Zeiten ganz auf die Beziehung zu Gott konzentrieren, kann uns das auf gesunde Weise aus dem Tritt bringen. Und aus dem Trott, immer so weiter zu machen, wie bisher. Nur: Wollen wir das? Und vor allem: Sind wir bereit, die Einbußen in Kauf zu nehmen, die das mit sich bringt?

 

Heute ist der letzte Tag des Ramadanmonats, morgen wird in unserer Siedlung einiges los sein. Ich freue mich schon auf die Familien, die vor den Häusern sitzen und feiern. Vielleicht gehe ich mal rüber und sage Glückwunsch, Glückwunsch, dass ihr es geschafft habt.

Auch Ihnen, die Sie auf die kleine Auszeit am morgigen Sonntag warten, eine gute Nacht und eine gesegnete Woche.