Fromm und visionär

Fromm und visionär
Fromm und visionär
Christliche Literatur in der DDR
13.10.2019 - 08:35
18.07.2019
Gunnar Lammert-Türk
Über die Sendung:

Der Publizist Jürgen Israel schildert, wie in der DDR junge Autoren dabei unterstützt wurden, ihre literarischen Gehversuche der Öffentlichkeit vorzustellen.
Auch kirchliche Verlage bemühten sich um die Förderung und Veröffentlichung christlich geprägter DDR-Autoren.

 "Am Sonntagmorgen" im Deutschlandfunk zum Nachhören und Nachlesen

 
Sendung nachhören

 

Sendung nachlesen:

Jürgen Israel:

1963 erschien im Verlag Neues Leben, das war der Verlag der FDJ, eine Anthologie, „Auftakt 63“, in dem junge, bisher weithin unbekannte Autoren Gedichte veröffentlichen konnten. Es gab da noch die später angefangene Zeitschrift „Temperamente. Blätter für junge Literatur“, die ausdrücklich jungen Leuten vorbehalten war, die aber auch Prosa veröffentlichte. Und es gab dann eine Reihe „Offene Fenster“ mit Schülergedichten.

 

Der Publizist Jürgen Israel schildert, wie in der DDR junge Autoren dabei unterstützt wurden, ihre literarischen Gehversuche der Öffentlichkeit vorzustellen. Zu denen, die diese Möglichkeit nutzten, gehörten solche, die später zu den bekannten Literaten aus der DDR zählten: Johannes Bobrowski, Sarah Kirsch oder Volker Braun, aber auch weniger bekannte Autoren. Und sie fanden so die Aufmerksamkeit, die sie sich wünschten.

 

Jürgen Israel:

Diese Reihe „Auftakt 63“ und dann „Auswahl 64, 65“ wurde weithin wahrgenommen. Also ich bin mehrmals von Bekannten daraufhin angesprochen worden, hast du das und das gelesen, da ist doch von dem ein gutes Gedicht drin. Also von Literaturinteressierten, meist jüngeren Leuten, wurde diese Reihe wahrgenommen und später auch die Temperamente.

 

Wahrgenommen werden konnten auf diese Weise freilich nur die, deren Beiträge durch die Zensur gekommen waren. Immerhin wurden auch eine ganze Reihe von Texten herausgebracht, die sprachlich Neuland beschritten und auch da und dort einen kritischen Umgang mit der DDR-Wirklichkeit durchscheinen ließen. Zu denen, die nur bedingt Zugang zu den Anthologien und Zeitschriften der DDR-Verlage hatten, gehörten auch christlich geprägte Autoren. Sie konnten zwar grundsätzlich dort veröffentlichen, …

 

Jürgen Israel:

…. aber sie konnten keine genuin christlichen Themen verhandeln. Und sie konnten auch nicht auf die christliche Tradition der Lyrik zurückgreifen, also es gab keinen Paul Gerhardt-Bezug oder auch keinen Bezug auf die Psalmen.

 

Die großen christlichen Fragen: Schuld und Sühne, Sünde und Vergebung, Gnade und Güte, Tod und ewiges Leben – sie tauchten so in der offiziell zugänglichen Literatur kaum auf. Zumindest nicht aus der Sicht christlicher zeitgenössischer DDR-Autoren. Aber auch Texte, die das Leben gläubiger Menschen im sozialistischen Umfeld beschrieben, drangen so kaum an die Öffentlichkeit. Diese Farbe und dieser Ton fehlten weithin in der Literatur der DDR.

 

 

In den Zeitschriften für Nachwuchsautoren in der DDR konnten christliche Themen und biblische Traditionen nicht zum Tragen kommen. Beiträge dieser Art wurden ab und an in Kirchenzeitungen, christlichen Jahrbüchern und Kalendern untergebracht, aber das war wenig attraktiv. Zum einen, weil nur wenig Platz zur Verfügung stand, zum anderen, weil hier kaum innovative und experimentelle Texte Aufnahme fanden. Deshalb bemühten sich die beiden kirchlichen Verlage um die Förderung und Veröffentlichung christlich geprägter DDR-Autoren. Die Evangelische Verlagsanstalt in Berlin schuf dafür die Reihe „Anzeichen“. Auch der katholische St. Bennoverlag in Leipzig wurde aktiv. Jürgen Israel erinnert sich:

 

Jürgen Israel:

Wir haben versucht, so etwas wie einen Zeitschriftenersatz zu machen mit einem Band „Offene Türen“, in dem wir junge Autoren oder ältere Autoren, die noch nicht durchgesetzt waren, um ihnen die Möglichkeit zu geben, Texte zu veröffentlichen. Und wir haben damals bei diesem Band soviel Zuschriften bekommen, obwohl wir es gar nicht offiziell ausschreiben durften, war eigentlich Mund-zu-Mund-Propaganda, wir haben soviel Zuschriften bekommen von christlichen Autoren, dass die eigentliche Arbeit im Aussortieren bestand und nicht im Zusammensuchen halbwegs guter Texte.

 

Der Bedarf nach solchen Veröffentlichungen auf Seiten der Autoren war also recht groß. Dabei fanden nicht nur sie in den kirchlichen Verlagen mit ihren Texten Aufnahme. Auch mancher Verlagsmitarbeiter konnte nur hier seinen Beruf ausüben. Für den evangelischen Christen Jürgen Israel, der wegen Wehrdienstverweigerung von 1970 bis 1972 im Gefängnis saß und danach Berufsverbot erhielt, bot der katholische St. Bennoverlag die Möglichkeit, als Germanist zu arbeiten. Bei Elisabeth Antkowiak sah es ähnlich aus.

 

Jürgen Israel:

Elisabeth Antkowiak hatte in der DDR studiert, Germanistik und Anglistik, und ihr ist unmittelbar nach ihrem Staatsexamen gesagt worden, dass sie in keinem staatlichen Verlag der DDR würde eine Stelle bekommen, sodass für sie als bekennende Katholikin nur die Arbeit in dem St. Bennoverlag in Frage kam. Und sie hat sehr verdienstvoll die Reihe „Benno-Bücher“ herausgegeben, „Christliche Erzählungen“ war der Untertitel. Und in Anthologien war immer bis zum Schluss möglich, Texte von Autoren zu veröffentlichen, die keinen eigenen Band bekommen hätten. Aber da konnten auch, ich will nicht sagen regimekritische, aber auf alle Fälle philosophisch weite Texte veröffentlicht werden, die sonst keine Chance gehabt hätten.

 

Zu solchen anspruchsvollen Texten gehörten die Gedichte von Karl Heinz Robrahn und Michael Bartuschek, auch dessen Prosatexte. Neben den kleinen Einzeltexten in Anthologien und Sammelbänden erschienen auch Romane im St. Bennoverlag. Die von Ingrid Hahnfeld wandten sich der Gegenwart zu. Gute historische Romane über Figuren der christlichen Geschichte wie Paulus und die heilige Hedwig von Schlesien schrieb der Priester Johannes Derksen, der …

 

Jürgen Israel:

das historische Verständnis in der DDR aufzuweichen versucht hat, der diesen schlichten, oft sehr primitiven Materialismus, diese materialistische Geschichtsbetrachtung aufgeweicht hat und vermittelt hat, in der Geschichte wirken noch andere Mächte als die Klassen und es gibt andere Kämpfe in der Geschichte als Klassenkämpfe. Derksen hat einen wunderbaren Stil geschrieben und seine historischen Romane sind in großen Auflagen, so groß wie sie für den St. Bennoverlag möglich waren, erschienen. Und waren immer vergriffen.

 

 

Für alles, was in den kirchlichen Verlagen erschien, musste von der staatlichen Zensur die Genehmigung eingeholt werden. Aber auch ihren Besitzern gegenüber, den evangelischen Landeskirchen und den katholischen Bischöfen, waren die Evangelische Verlagsanstalt und der

St. Bennoverlag in der Pflicht, ihre Veröffentlichungen zu rechtfertigen. Sie mussten belegen, …

 

Jürgen Israel:

… dass das, was gedruckt wird, einen Gemeindebezug hat und für die Gemeindearbeit verwendet werden konnte. Ganz besonders war das zu spüren in Erzählungsanthologien. Ich entsinne mich einer Anthologie aus der Evangelischen Verlagsanstalt, „Herberge der Fröhlichkeit“, wo im Inhaltsverzeichnis hinter jedem Text stand Vorlesedauer soundso lang, was eindeutig darauf hinwies, dass sie für die Gemeinde verwendet werden sollte, was aber auch der staatlichen Zensurbehörde gegenüber bedeuten sollte: das verwenden wir für die Gemeinde und es ist nicht gedacht, die Leser in der DDR auf ideologische Abwege zu führen.

 

Wenn nachgewiesen oder vorgetäuscht werden konnte, dass die veröffentlichten Texte vor allem erbaulich waren, zum Einsatz bei Gemeindeabenden, vielleicht zum Zitieren im Gottesdienst geeignet, erschienen sie harmlos genug. Das galt nicht nur für Gedichte und Prosastücke weniger bekannter Autoren. Auch wenn die kirchlichen Verlage bedeutende christliche Autoren der Weltliteratur verlegen wollten, wurde in diesem Sinne getrickst.

 

Jürgen Israel:

Wir hatten den französischen Dichter Marcel Jouhandeau entdeckt und wussten aber sofort, dass wir ihn nie genehmigt bekommen würden und haben deshalb zuerst von ihm eine Biographie des heiligen Philipp Neri veröffentlicht. Da war er beim Ministerium eingeordnet als Hagiograph und dann einen Erzählungsband von ihm zu veröffentlichen, war überhaupt nicht mehr schwierig. Aber wir hätten ihn vermutlich nicht genehmigt bekommen, wenn wir zuerst mit den Erzählungen angefangen hätten, dann wäre er als Weltliterat erkannt worden. So ist es uns mit Mauriac gegangen. Von Mauriac erschien ein Roman im St. Bennoverlag und die zweite Auflage musste dann beim Aufbau Verlag erscheinen, weil Mauriac Weltliteratur war und der St. Bennoverlag dafür nicht lizensiert war.

 

Was an Weltliteratur und wo sie erschien, entschied der Staat in der DDR. Das betraf auch christlich geprägte große Literatur. Den kirchlichen Verlagen gestand er dieses Recht im Grunde nicht zu. Er bestimmte die Auswahl und beschränkte die Veröffentlichung im Wesentlichen auf seine Verlage.

 

Jürgen Israel:

Es sind in fast allen Verlagen Bücher christlicher Autoren und mit christlicher Thematik erschienen. Im Inselverlag in Leipzig zum Beispiel ist Reinhold Schneiders „Las Casas vor Karl V.“ erschienen. Und auch im Verlag Volk und Welt, der lizensiert war für Weltliteratur, sind natürlich auch katholische Autoren Frankreichs und christliche Autoren Englands veröffentlicht worden und im Aufbau Verlag, dessen Hauptgebiet die deutschsprachige Literatur war, sind auch immer wieder christliche Autoren veröffentlicht worden.

 

Große Weltliteratur, mit christlich geprägten Themen und von christlichen Autoren verfasst, fand sich in den Ausgaben der kirchlichen Verlage nur selten. Aber auch bei der Veröffentlichung zeitgenössischer christlicher DDR-Literatur waren die qualitativ hochwertigen Texte nicht so häufig anzutreffen.

 

Jürgen Israel:

Es war vieles gut gemeint und der Situation in der DDR geschuldet und es bestand ja die große Gefahr, dass wir aus Solidarität miteinander nicht kritisch genug waren. Ich selber gehöre auch dazu. Und als ich dann einen Sammelband vor mir hatte mit Texten, die ich alle vorher kannte und von den Autoren selber gelesen und gehört hatte, dann fand eigentlich nur ein einziger Text vor mir Gnade, weil ich fand die anderen Texte alle nicht ausreichend.

 

Die Autorenförderung der kirchlichen Verlage wollte auch den von der Zensur Ausgeschlossenen eine Chance geben. Dass die innovativen und begabten Autoren sich in den meisten Fällen lieber um die Veröffentlichung in den staatlichen Verlagen bemühten oder ihre Texte in der Szene in Umlauf brachten, das konnte sie nicht ändern. Auch waren unter diesen nur wenige, die sich mit christlichen Fragestellungen befassten und selbst christlich geprägt waren. Das hatte Einfluss auf das Niveau der zur Veröffentlichung bereitgestellten Literatur. Aber es ging nicht allein um die Qualität. Wichtiger war es, die Welt, wie sie Christen in der DDR erlebten, von Christen schildern zu lassen. Christen sollten für Christen schreiben und ihnen so Ermunterung und Stärkung geben, ihnen helfen, das Erlebte christlich zu deuten. Das lag besonders dem Chefredakteur des St. Bennoverlages, Prälat Hermann Josef Weisbender, am Herzen.

 

Jürgen Israel:

Er war bestrebt, DDR-Autoren zu fördern und auch unter persönlichen Opfern hat er das gemacht, weil er immer sagte, wir müssen unsere Probleme für unsere Christen, für die Menschen in der DDR, darstellen, und wir können uns nicht darauf beschränken, was uns Autoren aus dem Westen, und mögen sie literarisch noch so hochstehend sein, anbieten, denn die Problematik des Christseins im Westen entfernt sich immer weiter von der Problematik, die wir hier in der DDR haben.

 

Und auf die haben die Autoren, die in den kirchlichen Verlagen veröffentlichten, mit ihren Texten reagiert. Die literarisch höher stehenden wie Bartuschek, Robrahn, Hahnfeld und Derksen ebenso wie die bescheideneren Stimmen. Und so wurden ihre Beiträge manchen Christen in der DDR „Türklinken zum Leben“, wie der Titel einer Anthologie des St. Bennoverlages hieß.

 

 

Es gilt das gesprochene Wort.

 

Musik dieser Sendung:

Toti al soler, Pascal Comelade, Sommer vorm Balkon Original Soundtrack

18.07.2019
Gunnar Lammert-Türk