Begegnungen – wo Himmel und Erde sich berühren.

Telefonseelsorge Bielefeld Ostwestfalen-Lippe

Telefonseelsorge Bielefeld-OWL

Begegnungen – wo Himmel und Erde sich berühren.
aus Bielefeld
09.05.2024 - 10:05
Über die Sendung:

Ehrenamtliche Telefonseelsorgerinnen und -sorger, die am Telefon oder über Mail für Menschen in Not da sind, berichten über ihre Erfahrungen. Begegnungen – wo Himmel und Erde sich berühren, das ist das Thema dieses Gottesdienstes an Christi Himmelfahrt.

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Predigt zum Nachlesen:
I
Himmel-fahrt, was ist das eigentlich für ein eigentümliches Wort? „Aufgefahren in den Himmel.“ Welches Bild entsteht vor Ihren Augen, wenn Sie sich das einmal wirklich vorstellen? Was passiert mit Jesus, als er in den Himmel auffährt, und denen, die dabei zusehen? Was gibt es eigentlich zu feiern? Kirchliche Feste haben ja einen bestimmten Charakter, eine Stimmung. An Karfreitag sind die Kirchen überhaupt nicht geschmückt, der Abendmahlstisch vorn ist leergeräumt, die Stimmung dunkel, nachdenklich, traurig. An Ostern stehen frische Blumen da, eine neue Kerze wird entzündet, fröhliche Lieder und eine ausgelassene Stimmung. Aber Himmelfahrt? Manche feiern Vatertag oder machen einen Ausflug mit der Familie. Kirchengemeinden feiern Gottesdienste im Grünen unter freiem Himmel. Aber warum? Was gibt es zu feiern?

Jemand geht, verabschiedet sich, und es ist nichts mehr so, wie es war. Jesus verabschiedet sich von seinen engsten Freundinnen und Freunden, um künftig in neuer Weise unter den Menschen präsent zu sein. Sie werden Gottes Geist empfangen, so sagt er. Was damit gemeint ist, das wird an Himmelfahrt noch nicht so klar, da müssen die Jünger und Jüngerinnen noch auf Pfingsten warten. Himmelfahrt steht zwischen Ostern und Pfingsten. Es ist das Fest derer, die zurückbleiben und noch nicht genau wissen, wie es weitergehen wird. Die Stimmung: nachdenklich, aber mit Hoffnung. Himmelfahrt erzählt von dem Abschied Jesu 40 Tage nach seiner Auferstehung. Er kehrt zurück zu Gott. Seit dieser Zeit ist für Christinnen und Christen der Himmel ein besonderer Ort, der Ort, an dem Gott ist. Eine kleine jüdische Geschichte erzählt von einem Kind, das zum Rabbi kommt. Es will ihn hinters Licht führen und sagt: „Ich gebe dir 100 Schekel, wenn du mir sagst, wo Gott wohnt.“ Der Rabbi darauf nach einer kurzen Pause: „Und von mir bekommst du 200 Schekel, wenn du mir sagst, wo er nicht wohnt.“ Die Frage treibt auch heute viele immer wieder mal um. Wo ist Gott? Wenn ich überglücklich und einfach nur dankbar bin, wo ist Gott? Wenn mir etwas zu schaffen macht, wenn ich mich traurig und allein fühle, wo ist Gott?

Als Jesus in einer Wolke verschwunden ist, schauen ihm seine Freunde nach. Auf einmal stehen bei ihnen zwei Männer und fragen: „Was steht ihr da und seht zum Himmel?“ Wir werden die Erzählung aus der Bibel gleich hören. Was starrt ihr in den Himmel? Vielleicht meint das: Seht nicht nach oben und verrenkt euch nicht den Hals, blickt Jesus nicht versonnen und traurig nach, sondern seht in die Welt, auf die Menschen um euch. Nicht da, wo der Himmel ist, ist Gott, sondern wo Gott ist, da ist der Himmel. Es geht nicht um den Himmel, weit weg und unerreichbar, sondern es geht um die Erde, den Ort, auf dem wir leben und auf dem uns Gott immer wieder begegnen kann. Himmelfahrt bedeutet Bodenhaftung. Jesus ist aufgefahren in den Himmel, aber er ist mit seiner Geburt, seinem Tod und seiner Auferstehung gleichzeitig herabgefahren in unsere Welt, mitten hinein in unsere Leben. Dem wollen wir heute Vormittag nachgehen und haben unseren Gottesdienst deshalb unter das Thema gestellt: Begegnungen – wo Himmel und Erde sich berühren.
 
II
Die Erzählung von Christi Himmelfahrt steht im 1. Kapitel der Apostelgeschichte:

Ihnen zeigte Jesus sich nach seinem Leiden durch viele Beweise als der Lebendige und ließ sich sehen unter ihnen vierzig Tage lang und redete mit ihnen vom Reich Gottes.4Und als er mit ihnen beim Mahl war, befahl er ihnen, Jerusalem nicht zu verlassen, sondern zu warten auf die Verheißung des Vaters, die ihr – so sprach er – von mir gehört habt; 5denn Johannes hat mit Wasser getauft, ihr aber sollt mit dem Heiligen Geist getauft werden nicht lange nach diesen Tagen.8Ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen, der auf euch kommen wird, und werdet meine Zeugen sein in Jerusalem und in ganz Judäa und Samarien und bis an das Ende der Erde.9Und als er das gesagt hatte, wurde er vor ihren Augen emporgehoben, und eine Wolke nahm ihn auf, weg vor ihren Augen. 10Und als sie ihm nachsahen, wie er gen Himmel fuhr, siehe, da standen bei ihnen zwei Männer in weißen Gewändern. 11Die sagten: Ihr Männer von Galiläa, was steht ihr da und seht gen Himmel? Dieser Jesus, der von euch weg gen Himmel aufgenommen wurde, wird so wiederkommen, wie ihr ihn habt gen Himmel fahren sehen.

Sind Sie beim Hören dieser Verse mit Ihren Gedanken auch so bei den Jüngern wie ich? Wenn ich mir das vorstelle: Auf einmal ist Jesus fort, ihr Freund, ihr Lehrer, der Mittelpunkt ihres Lebens. Eine ganze Bewegung hatte sich um ihn geschart, so wie er von Gott gesprochen hat, wie er gelehrt und diskutiert hat, wie er Menschen zugehört und sie geheilt hat. Sie, die Jüngerinnen und Jünger, waren der engste Kreis, seine Freundinnen und Freunde. Auf einmal sind sie allein, verloren, sich selbst überlassen, Zweifel und Angst machen sich breit. Was hilft ihnen jetzt, wer gibt ihnen Sicherheit? Wie können sie weiterleben? Solange er da war, war alles so klar. Mit Jesus zusammen konnten sie Bäume ausreißen, gab es ein Ziel. Nun ist es ja nicht so, dass er ganz ohne Ankündigung gegangen wäre. Ostern liegt hinter ihnen, Tod und Auferstehung haben sie erlebt. Jesus bereitet sie auf den endgültigen Abschied vor, ganz seelsorglich und fürsorglich. 40 Tage hat er sich unter ihnen sehen lassen, so heißt es. Das gab Gelegenheit für die Jüngerinnen und Jünger, sich auf die Situation einzulassen, sich einzustellen auf die Veränderung. Langsam mitzugehen, um weiterzuleben ohne den greifbaren und sichtbaren Christus. – Für uns heute ist das der Normalzustand, Alltag, wir kennen das nicht anders. Wir glauben an einen Gott, den wir nie gesehen haben. Wir hören von Jesus, der nie unter uns war. Und doch können wir erleben, dass er da ist. Im Gottesdienst, im Gebet, in der Stille, in der Musik, in der Gemeinschaft, in der Begegnung, in der Natur. Es gibt so viele Möglichkeiten. Für die Jüngerinnen und Jünger war es schwer und für uns ist es auch nicht immer einfach. Gerne würde ich Gott manchmal herbeiwünschen, her zitieren, würde ihn am liebsten sehen und zeigen. Doch das ist nicht möglich, dem entzieht er sich. Die erste Andeutung einer Antwort auf die Frage „Wo ist Gott?“ gibt die Erzählung aus der Bibel:  „Was steht ihr da und seht gen Himmel?“ – Bleibt nicht dabei, ihm hinterherzusehen, ihm nachzutrauern. Schaut nach rechts und links, schaut auf die Menschen neben Euch. Werdet handlungsfähig und seid da für die Menschen, für das Nächstliegende, für das, was auf dem Weg liegt.

In der TelefonSeelsorge erleben Menschen das immer wieder. Die ehrenamtlichen Telefonseelsorgerinnern und -seelsorger sind da, sie hören zu. Und manchmal geschieht dann etwas Besonderes.

Ehrenamtliche:
Ich habe genau das überlegt: Wo Himmel und Erde sich berühren, bei der Arbeit der TelefonSeelsorge? Hm…

Zuerst mal ist da eine Blockade. Soll ich mich in meiner Erinnerung auf die Suche machen nach großartigen Sternmomenten in den vielen seelsorglichen Gesprächen, die ich bisher geführt habe?

Mit anderen Ehrenamtlichen habe ich darüber gesprochen und betrachte die Frage noch mal neu.

Was ist es, das mich nach 6 Jahren hier hält? Was berührt mich im Kern? Diese Gespräche am Telefon zu führen mit fremden Menschen, die mir ihre Gedanken, ihre Nöte, ihre Ausweglosigkeit, ihre Wut und ihre Fragen mitteilen …

Wenn ich die Gesamtheit der Begegnungen am Telefon bedenke, dann wächst als großes Gefühl in mir: Respekt. Respekt angesichts dieser großen menschlichen Bemühungen derer, die anrufen. Die mit Einsamkeit, mit Armut, mit Krankheit, Missbrauch, Vergangenheitsbewältigung, dem Alltag und vielen anderen Dingen versuchen fertig zu werden.

Respekt auch vor dem Vertrauen, das mir da entgegengebracht wird.

Da hebt sich mein Herz. Es ist schön, Verbundenheit mit fremden Menschen zu spüren, Mitgefühl zu entfalten. Sich auf die Sache dieser Menschen einzulassen; ganz und gar, so gut wie es geht.

Das Erleben von Respekt, Freude, Verbundenheit – berühren sich da Himmel und Erde? Ja.

III
Jesus sagt seinen Jüngerinnen und Jüngern, dass sie seine Zeugen sein werden. Ihr werdet meine Zeugen sein. Puh, können wir dem überhaupt gerecht werden? So viel Auftrag und Anspruch kann ganz schön verunsichern. Werde ich dem gewachsen sein? Was bin ich denn schon für eine Zeugin? Darum kommt noch eine Verheißung dazu, die ermutigt und stärkt. Ein Versprechen. Jesus sagt: Ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes bekommen. Meint: Mit der Kraft des Heiligen Geistes ausgestattet, werdet ihr Zeugen sein können. Heute ist das auch so, viele von uns sind Zeugen und Zeuginnen, gewollt oder ungewollt. Nicht ganz so großartig und spektakulär wie zu Zeiten Jesu, aber die Großmutter, die ihren Enkel mit zum Kindergottesdienst nimmt, die bezeugt etwas. Sie zeigt ihm, wo Glaube, Liebe und Hoffnung in ihrem Leben herkommen. Der Ehrenamtliche bei der TelefonSeelsorge, der am Schluss eines Telefonates Gottes Segen wünscht, die Ehrenamtliche, die mit einer Anruferin über deren Gottverlassenheit ins Gespräch kommt oder für die Jugendliche mit Suizidgedanken eine Kerze anzündet. Der Teenager in der Schule, der sich für seinen Klassenkameraden einsetzt. Sie alle zeigen etwas. So geschieht Zeugin, Zeuge sein in unseren Leben. Die Großmutter, der Jugendliche, die Ehrenamtlichen -  wie die Jüngerinnen und Jünger brauchen sie Zuspruch, Kraft für den nächsten Tag, das nächste Telefonat. Diese Kraft, die dann da ist, wenn man sie gar nicht vermutet. Ich glaube: Gott ist da, wo ein Mensch Kraft bekommt. In unserer Menschlichkeit, in unserer Berührbarkeit und Bedürftigkeit sind wir den Jüngerinnen und Jüngern so ähnlich. Wie auch die Ehrenamtlichen der TelefonSeelsorge. Ihnen wird viel anvertraut, sie halten viel mit aus und vertrauen dabei nicht nur auf die eigene Kraft.

Ehrenamtliche:
Dieser Moment, bevor Du Dich bereit meldest, wenn Deine Schicht beginnt. – Ich muss dann immer tief durchatmen, muss mich sammeln, wappnen für das, was da möglicherweise am Telefon auf mich zukommt. Werde ich gut genug sein? Wird der Himmel mir die passenden Worte schicken, wenn ich ratlos bin? Gelingt es mir, mein Gegenüber zu ermutigen oder ihm Trost zu spenden? Das alles bewegt mich in den Sekunden, bevor ich auf den Startknopf drücke. Und dann? Spätestens wenn der erste Anrufer sich für das Gespräch bedankt, bin ich „geerdet“ und vertraue darauf, auch weiterhin die richtigen Worte zu finden.

Ehrenamtliche:
Ich habe mich für eine Nachtschicht eingetragen. Als mich der Wecker aus meinem kurzen „Vorschlafen“ reißt, denke ich wie immer: „Warum hast Du Dich nur für eine Nachtschicht eingetragen?“ In der TelefonSeelsorgestelle das Ritual: Lüften, Tee kochen, Socken anziehen – dann warten. Es kommt der erste Anruf. Ich bin hellwach, versuche mich vorsichtig zu nähern. Ein Gespräch ist immer so, als ob man ein Päckchen auspackt. Man löst die Paketschnur, rollt sie sorgfältig zusammen, behutsam entfernt man das Papier, schaut vorsichtig in den Karton – und schließlich liegt da die Lebenszeit eines Menschen, ungeschützt, einzigartig und verletzlich. Am Ende des Gespräches packe ich es wieder ein, dies Geschenk des Vertrauens.

Himmelfahrt umfasst die Fülle menschlichen Lebens. Es geht um Tod und Sterben, Abschied, Ankunft, Freude und Schmerzen, Irrtum und Erkenntnis, Staunen und Handeln.

Dazu eine ehrenamtliche TelefonSeelsorgerin:
Ein großer Schatz ist das Telefonat mit einer Frau, es ist viele Jahre her, deren Mann drei Tage vorher gestorben war. Sie und ihr Mann waren altersmäßig weit auseinander – genau wie mein Mann und ich. Sie war tieftraurig, untröstlich, konnte nur flüstern, weil sie keine Kraft mehr hatte, konnte nicht essen und trinken, nicht schlafen … Sie erzählte von ihrer Ehe, von ihrem Mann und ich habe meine Ehe in ihrer wiedererkannt. Ich habe ihr am Telefon erzählt, was eine andere Frau in einer ähnlichen Situation getröstet hat. Diese Frau hatte das Gefühl, ihr Mann würde sie mit einem Mantel der Liebe zudecken. Dann habe ich zu der Anruferin gesagt: „Ich trinke jetzt mal einen Schluck Wasser. Wollen Sie sich auch ein Glas Wasser holen?“ Wir haben es geschafft, zusammen etwas Wasser zu trinken. Irgendwann in unserem Gespräch habe ich gesagt: „Ich zünde jetzt eine Kerze für Ihren Mann an.“ Das habe ich getan – sie konnte das Streichholz beim Entzünden hören. Dann habe ich gesagt: „Ich bin gewiss: Die Liebe Ihres Mannes ist da und umhüllt Sie.“ Die Anruferin wurde ruhiger, legte sich während unseres Telefonseelsorge-Gesprächs ins Bett. Ich bin bei ihr in der Leitung geblieben, bis sie eingeschlafen ist. Hätte mir vorher jemand gesagt, dass ich ein Telefonat mit diesem Thema führen soll, hätte ich das abgelehnt, weil es so nah an mir selbst und meiner Geschichte war. Aber es war unglaublich schön, ich kann es nicht anders ausdrücken. Es war eines der bewegendsten Gespräche, die ich in all den Jahren geführt habe – und es war mir eine Ehre, für diese Frau da zu sein und für einen Moment ihre Last mit ihr zu tragen.  

Was steht ihr da und seht zum Himmel? Schaut nicht nach oben, sondern schaut in die Welt. Die Aufforderung an die Jüngerinnen und Jünger können wir uns zu eigen machen. Im Hier und Jetzt können wir etwas vom Himmel erfahren und diese Erfahrung an andere weitergeben und damit erfahrbar machen. In dem wir ein Lächeln auf das Gesicht unseres Gegenübers zaubern oder am Telefon zuhören, in Momenten der Freude und der Liebe, des Trostes und der Heilung. Es geht um das, was uns selbst tröstet und Kraft gibt. Und es geht um mehr: Wie die Jüngerinnen und Jünger dürfen wir etwas an andere weitergeben von der lebendigen, fröhlichen und getrosten Hoffnung.

Wir können uns berühren lassen und wir können etwas tun. So wie die Ehrenamtlichen in den TelefonSeelsorgestellen in ganz Deutschland rund um die Uhr für die Anrufenden, Mailer und Chatterinnen mit ihren Sorgen und Nöten da sind. Dort geschehen überraschende Begegnungen zwischen Himmel und Erde. Auch wir können sie in unserem Alltag erleben. Durch eine offene Haltung allen Menschen gegenüber, die Raum dafür gibt, dass Gott sich zeigen kann. Nicht wo der Himmel ist, ist Gott, sondern wo Gott ist, da ist der Himmel.

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle unsere Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen

Es gilt das gesprochene Wort.