Dem Antisemitismus entgegentreten

Stiftskirche St. Arnual in Saarbrücken

Foto: Anna16

Dem Antisemitismus entgegentreten
Live-Übertragung aus der Stiftskirche St. Arnual, Saarbrücken
13.08.2023 - 10:05
10.05.2023
Pfarrer Martin Ufer
Über die Sendung:

Der Israelsonntag erinnert an das enge Verhältnis von Christen und Juden. Trauer über das Unrecht, das Juden im Lauf der Geschichte angetan wurde, Bekennen der Schuld, die Christen und die Kirche auf sich geladen haben, Aufzeigen der vielfältigen Beziehungen zwischen Juden und Christen im Glauben an denselben Gott, aber auch das Bekenntnis zur bleibenden Erwählung Israels – um all das geht es in diesem Gottesdienst. 

Stiftskirchenpfarrer Martin Ufer und Anke Schaefer, Deutschlandradio-Landeskorrespondentin im Saarland, übernehmen die Textbeiträge.

Die Musik kommt von Prof. Dr. Jörg Abbing an der Kuhn-Orgel der Stiftskirche sowie der Mezzo-Sopranistin Daphné Macary, Studentin an der Hochschule für Musik/Saar.

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Predigt zum Nachlesen:

I

Der 10. Sonntag nach Trinitatis wird traditionell als Israelsonntag gefeiert. Wir haben es am Anfang gehört – dieser Tag steht ganz im Zeichen der Erinnerung. Das Erinnern ist auch im Judentum eine wichtige Kategorie. Und damit haben wir die Verbindung zu dem Predigttext, der für diesen Sonntag vorgeschlagen ist. Er steht im 5. Buch Mose, im 4. Kapitel:

Du sollst deinen Kindern und Kindeskindern kundtun den Tag, da du vor dem Herrn, deinem Gott, standest an dem Berge Horeb, als der Herr zu mir sagte: Versammle mir das Volk, dass ich sie meine Worte hören lasse und sie mich fürchten lernen alle Tage ihres Lebens auf Erden und ihre Kinder lehren. Da tratet ihr herzu und standet unten an dem Berge; der Berg aber stand in Flammen bis in den Himmel hinein, und da war Finsternis, Wolken und Dunkel. Und der Herr redete mit euch mitten aus dem Feuer. Den Klang der Worte hörtet ihr, aber ihr saht keine Gestalt, nur eine Stimme war da. Und er verkündigte euch seinen Bund, den er euch gebot zu halten, nämlich die Zehn Worte, und schrieb sie auf zwei steinerne Tafeln. Und der Herr gebot mir zur selben Zeit, euch Gebote und Rechte zu lehren, dass ihr danach tun sollt in dem Lande, in das ihr zieht, es einzunehmen. So hütet euch um eures Lebens willen – denn ihr habt keine Gestalt gesehen an dem Tage, da der Herr mit euch redete aus dem Feuer auf dem Berge Horeb –, dass ihr euch nicht versündigt und euch irgendein Bildnis macht, das gleich sei einem Mann oder einer Frau, einem Tier auf dem Land oder Vogel unter dem Himmel, dem Gewürm auf der Erde oder einem Fisch im Wasser unter der Erde. Hebe auch nicht deine Augen auf zum Himmel, dass du die Sonne sehest und den Mond und die Sterne, das ganze Heer des Himmels, und fallest ab und betest sie an und dienest denen, die der Herr, dein Gott, zugewiesen hat allen Völkern unter dem ganzen Himmel. Euch aber hat der Herr angenommen und aus dem Schmelzofen, nämlich aus Ägypten, geführt, dass ihr sein Erbvolk sein sollt, wie ihr es jetzt seid.

Was bei dem Thema „Erinnerung“ im Judentum und im Christentum allgemein gilt, das gilt für das 5. Buch Mose im Speziellen. Dieses Buch, schließt den Geschichtenkreis von der Schöpfung über den Bundesschluss Gottes mit seinem Volk, die Rettung aus der Sklaverei in Ägypten und die 40 Jahre dauernde Wanderung der Kinder Israel durch die Wüste bis an die Grenze des Gelobten Landes ab. Und hier, kurz vor dem Erreichen des ersehnten Ziels, blickt Mose noch einmal zurück. Er erinnert das Volk Israel an die vielen Erfahrungen der Nähe Gottes und seine Hilfe in der Not. Er erinnert aber auch an die Regeln, die Gott den Menschen gegeben hat, damit sie in Frieden zusammenleben können. Einprägsam zusammengefasst sind sie in den „Zehn Worten“, wie es in unserem Text heißt; wir kennen sie als die Zehn Gebote. Alles in allem erinnert Mose das israelitische Volk an die Grundlagen ihres Glaubens und ihrer Gemeinschaft.

Auf diesem Fundament, das die hebräische Bibel gelegt hat, ruht auch unser christlicher Glaube auf. Damit schlagen wir die Brücke hinüber zu unserem Neuen Testament. Der Jude Jesus beruft sich an vielen Stellen auf die Gebote des Alten Testaments. Ein Beispiel haben wir eben in der Evangeliumslesung gehört – das Doppelgebot der Gottes- und der Nächstenliebe.
Und schließlich: Wenn wir uns diese Grundlagen anschauen, dann stellen wir sehr schnell fest, dass das auch die Grundlagen unseres Glaubens bis heute sind. Und nicht nur das; sie sind auch an vielen Stellen Grundlagen für unser gesellschaftliches Zusammenleben. Bleiben wir deshalb bei den Zehn Geboten; sie stehen ja im Zentrum unseres Abschnittes. Als die Gesetzestexte formuliert worden sind, die bis heute in Deutschland gültig sind, haben die Zehn Gebote da – bewusst oder unbewusst – viele Formulierungen beeinflusst. Ich will nur zwei Beispiele nennen, wo das deutlich wird. Zum einen heißt es im 3. Gebot: „Du sollst den Feiertag heiligen“. Dieses Gebot finden wir in dem hohen Gut der Sonntags- und Feiertagsruhe wieder.
Oder schauen wir auf das 6. Gebot: „Du sollst nicht ehebrechen“. Da heißt es im Grundgesetz, in Artikel 6: „Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung“.
Es ist gut, dass wir uns immer wieder daran erinnern lassen, dass wir mit unseren jüdischen Schwestern und Brüdern auf einem breiten gemeinsamen Fundament stehen. Dazu ist der jährliche Israelsonntag eine Gelegenheit.
Nun bezieht sich unser Predigttext aber ganz ausdrücklich auf ein Gebot, das in unserer Rechtsprechung keine große Rolle spielt. Das sogenannte Bilderverbot. Was es damit auf sich hat? Denken Sie doch einmal darüber nach, während der Musik.

 

II

„Du sollst dir kein Bildnis machen.“ So heißt das zweite Gebot nach der Zählung des Alten Testaments. Viele werden da gewiss an die Geschichte vom goldenen Kalb denken. Überall bei den Völkern, denen die Israeliten auf ihrer Wanderung begegneten, gab es Götterbilder oder Statuen. Nur die Kinder Israel hatten einen Gott, der im Verborgenen blieb, den man nicht sehen konnte. Sie wollten auch einen Gott, den man anfassen kann. Einer, dessen Nähe man nicht nur glaubt, sondern sieht. - Irgendwie ja auch verständlich, finde ich. Wer von uns würde nicht gerne einmal etwas von Gott sehen – gerade in schwierigen Zeiten des Lebens.
Du sollst dir kein Bildnis, kein Bild, von Gott machen, das kann aber noch etwas Anderes bedeuten, als das Verbot Statuen und Bilder anzufertigen. Natürlich gibt es großartige Kunst in Wort, Bild und Ausdruck. Kunst, die Mut macht, die tröstet, die uns Orientierung geben kann. Hier in unserer Stiftskirche gibt es großartige Fensterbilder, die den Betrachter auf ihre eigene Weise in die Gute Nachricht von Gottes Sohn hineinnehmen. Viele von Ihnen haben sicherlich auch Bilder vor Augen, die Ihnen am Herzen liegen.
Hier geht es um etwas Anderes: Es geht darum, Gott in einen Rahmen hineinzustecken. Gott in eine feste Form zu gießen oder in Stein zu meißeln. So etwas birgt immer die Gefahr, eigene Vorstellungen und Bilder festzuschreiben und vorzuschreiben: Etwa Gott ist „ein alter Mann mit weißem Bart“. Wenn ich Gott in eine Schablone presse, dann will ich ihn mir verfügbar machen; dann will ich ihn mir so machen, wie ich ihn haben will. Aber Gott ist immer ganz anders. Er ist auch manchmal so, dass wir ihn und das, was tut oder zulässt, beim besten Willen nicht verstehen können.
„Hütet euch, dass ihr euch nicht versündigt und euch irgendein Bildnis macht, das gleich sei einem Mann oder einer Frau.“ Das Bilderverbot hat noch eine zweite Dimension, die wir gleich betrachten wollen.

 

III

Man kann nicht nur Gott, man kann auch Menschen in Schablonen pressen. Und damit sind wir wieder zurück beim Israelsonntag. In wie viele Schablonen und Klischees haben wir in den vergangenen Jahrhunderten jüdische Menschen gepresst. Ich denke an widerliche Karikaturen in Wort und Bild. Ich denke an Verunglimpfungen durch Stammtischparolen. An Sätze wie: „so sind die Juden halt“. Ich will dafür keine konkreten Beispiele nennen, um diesen Dingen hier kein Forum zu geben. Aber das ist keine Erscheinung der Vergangenheit.

Ich bin Mitte 50 und bin mit den einschlägigen Erzählungen über das Judentum aufgewachsen. Und das hat sich bis heute ja nicht geändert. Wie oft hören wir von Anschlägen auf Synagogen; wie oft von Angriffen auf Menschen, die sich durch das Tragen einer Kippa offen als Juden bekennen.
Aber auch speziell wir als Christen müssen uns da an die Brust schlagen und Schuld bekennen. Ich war vor wenigen Tagen mit meiner Familie in Metz. Wie an vielen Kirchen des Mittelalters findet sich auch hier eine symbolische Darstellung von Kirche und Synagoge. Die Kirche ist eine Frau, die mit Bibel und Kreuz triumphal dasteht. Ihr gegenüber die Synagoge, ebenfalls eine Frau, die den Kopf aber gesenkt hat und vor allem die Augen verbunden hat. Das war lange Zeit das Bild, das die Christen vom Judentum weitergegeben haben. Die Juden haben die Augen vor dem neuen Bund Gottes in Jesus Christus verschlossen.

Bei den Menschen, die mir gegenüber die klassischen Ressentiments gegen Juden äußern, fällt mir eine Sache immer besonders auf: Keiner und keine von denen hat jemals einen Juden getroffen, geschweige denn mit ihm gesprochen oder näher kennen gelernt.
Deshalb finde ich es ganz wichtig, dass der Israelsonntag nicht nur dem Erinnern an begangene Fehler und Schuld erinnert. Er sollte jedes Jahr aufs Neue dazu dienen, unser Verhältnis als Christen zu unseren jüdischen Geschwistern zu bedenken und zu erneuern. Sich gegenseitig kennen lernen und aufeinander zugehen. Wie kann das gelingen? Ich will zwei Beispiele aus meiner eigenen Praxis weitergeben, mit denen ich gute Erfahrungen gemacht habe: In meiner Zeit in einer anderen saarländischen Gemeinde war es ein guter Brauch, einmal im Jahr einen gemeinsamen christlich-jüdischen Gottesdienst zu feiern. Daran waren die Saarbrücker Synagogengemeinde, die katholische Pfarrei und die evangelische Kirchengemeinde beteiligt.
Der jüdische Kantor, der katholische und der evangelische Pfarrer haben im jährlichen Wechsel die Predigt gehalten. Auf diese Weise haben wir viel voneinander gelernt. Von unserem Glauben, von den Traditionen des jeweils anderen und auch von unserem alltäglichen Leben. Im Anschluss gab es bei einem kleinen Empfang jedes Mal die Gelegenheit, miteinander ins Gespräch zu kommen.
Ein anderes Beispiel ist der Besuch mit unseren Konfirmandinnen und Konfirmanden in der Synagoge in Saarbrücken. Durch den Kontakt mit Gemeindegliedern, durch das Erleben des Raumes und der gottesdienstlichen Gegenstände verlieren die Jugendlichen ganz schnell alle Berührungsängste. Man merkt das bei der Fragerunde; es ist erstaunlich, wie viel Interesse junge Menschen da mitbringen. Beim Feedback am Ende der Unterrichtszeit gehört der Synagogenbesuch zu den Highlights, an die sich die Konfis gerne erinnern.
Und schließlich bieten auch die Medien Möglichkeiten, dem Judentum authentisch zu begegnen. Zum Beispiel hat der Deutschlandfunk einen festen Sendeplatz für „Notizen und Berichte über jüdisches Leben in Deutschland und der Welt“. Freitags um 19 Uhr gibt es Informationen „Aus der jüdischen Welt“. Und der Saarländische Rundfunk hat die Reihe „Jüdisches Leben“ zu den acht wichtigsten Feiertagen.
Bei all diesen Projekten geht es darum, aufeinander zuzugehen und sich nicht abzugrenzen. Bei einer Veranstaltung unseres Kirchenkreises wurde einmal gefragt, was uns als Evangelische Christen am besten beschreibt. Die Antwort, auf die sich alle einigen konnten war, dass wir ganz unvoreingenommen auf jeden Menschen zugehen und in ihm ein Kind Gottes sehen. Wenn wir das tun, dann handeln wir in der Nachfolge unseres Herrn Jesus Christus und nach dem, was er uns als das höchste Gebot hinterlassen hat:

„Höre, Israel, der Herr, unser Gott, ist der Herr allein, und du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von ganzem Gemüt und mit all deiner Kraft“ Das andre ist dies: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“. Es ist kein anderes Gebot größer als diese.

Amen

 

Es gilt das gesprochene Wort.

10.05.2023
Pfarrer Martin Ufer