Daseinsvorsorge

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Daseinsvorsorge
Gedanken zur Woche von Pfarrer Martin Vorländer
10.11.2023 - 06:35
27.01.2023
Pfarrer Martin Vorländer
Über die Sendung:

Die Gedanken zur Woche im DLF.

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Inmitten der Nachrichten von Kriegen und Krisen, der Angst vor Antisemitismus, inmitten der Debatten über Asyl und Migration kommt diese Meldung vergleichsweise unspektakulär daher: Im Öffentlichen Dienst fehlen mehr als 550.000 Beschäftigte. Das sind mehr als eine halbe Million Menschen, die für die Allgemeinheit, also für uns alle arbeiten – beziehungsweise eben nicht, weil die Stellen unbesetzt sind. Davon geht der Deutsche Beamtenbund aus. (1) Es ist das Ergebnis einer Umfrage bei den 41 Gewerkschaften, die zum Deutschen Beamtenbund gehören. Nun kann man über Zahlen immer streiten – was hat wer warum dazugezählt und was nicht. Aber 550.000 Beschäftigte, die im Öffentlichen Dienst fehlen, ist eine Ansage.

Manche werden mit den Achseln zucken und sagen: Naja, Beamte jammern ja immer. Beamten-Bashing ist ein beliebter Volkssport. Jede und jeder weiß eine Geschichte zu erzählen, was wieder einmal nicht geklappt hat auf einer Behörde, wo der Amtsschimmel wiehert und der Bürokratismus zugeschlagen hat. Mir geht es zunehmend auf die Nerven, wie unser demokratischer Staat schlecht geredet wird einschließlich der Menschen, die für ihn arbeiten. Darum alarmiert es mich, wenn im Öffentlichen Dienst so viele Beschäftigte fehlen. Über 500.000 – das sind so viele wie die Einwohner von Dresden oder Hannover.

 „So ermahne ich euch nun“, heißt es im Neuen Testament, „dass man vor allen Dingen tue Bitte, Gebet, Fürbitte und Danksagung für alle Menschen, für die Könige und alle Obrigkeit.“ (2) Obrigkeit hat man (zumindest in Deutschland) lange missverstanden. Als ginge es darum, den Bückling zu machen und gehorsam hinzunehmen, was von oben kommt. Ich verstehe diese biblische Aufforderung anders: Es geht um Menschen, die Verantwortung für das Gemeinwesen übernehmen. Und es geht um eine ganze Reihe von Aufgaben, die ein Einzelner nicht allein organisieren kann.  Natürlich, ich sorge normalerweise für mich selbst und setze mich, so weit ich kann, auch für andere ein. Was „Beschäftigte im Öffentlichen Dienst“ leisten, nennt sich „Daseinsvorsorge“.

Die nehmen wir jeden Tag in Anspruch. Zum Beispiel: Wir beklagen die Situation an unseren Schulen, wir fürchten um die gute Bildung für unsere Kinder – das hat mit der Zahl gut ausgebildeter Lehrerinnen und Lehrer zu tun. Sie unterstützen die Kinder und Jugendlichen darin, das notwendige Wissen für ihr Leben zu entdecken. Und mehr als das. Sie fangen auch auf, was derzeit die Bilder von Kriegen bei den Heranwachsenden bewirken. Sei es die Attacke Russlands gegen die Ukraine oder der Überfall der Hamas auf Israel. Das leisten die so sperrig genannten „Beschäftigten im Öffentlichen Dienst“ und die oft verspotteten Beamten jeden Morgen, jeden Tag.

Wir erleben, wie der Antisemitismus in Deutschland sein altes und sein neues grässliches Gesicht offen zeigt und Jüdinnen und Juden bedroht. Ich bin gottfroh, dass es Polizistinnen und Polizisten gibt, die Synagogen oder jüdische Schulen vor Attacken schützen. Das sind ebenfalls Beamte.

Wir diskutieren darüber, wie Städte und Kommunen Asylsuchende aufnehmen können, so dass es nicht die Kräfte und Möglichkeiten vor Ort überfordert. Der Ton macht die Musik. Wir reden nicht nur von Zahlen, sondern von Menschen. Es geht um das individuelle Grundrecht auf Asyl, das jedem Menschen zusteht. Ob es jeweils begründet ist, das prüfen – Beamte. Menschen, die mit Kompetenz und mit Blick für den und die Einzelne entscheiden, ob jemand ein Recht auf Zuflucht in Deutschland hat oder nicht. Das ist eine große Verantwortung. Ich habe Respekt vor dem, was Menschen leisten, die diese Aufgabe erfüllen. Wir brauchen allerdings genügend von ihnen, sonst dauert alles viel zu lange.

Der Kindergärtner und die Leiterin der Kommunalverwaltung, die für die Daseinsvorsorge arbeiten, sie sind gesellschaftlich genauso wichtig wie wirtschaftlich Erfolgreiche. Ihnen, den Beschäftigten im Öffentlichen Dienst, gilt mein Gebet, meine Fürbitte und Danksagung.

Es gilt das gesprochene Wort.

 

 

Anmerkungen zur Sendung:

  1. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 07.11.2023 https://www.faz.net/aktuell/politik/beamtenbund-550-000-fehlende-beschaeftigte-19295133.html.
  2. 1. Timotheus 2,1-2.

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27.01.2023
Pfarrer Martin Vorländer