Umkehr

Gedanken zur Woche

Gemeinfrei via pixabay.com (Pete Linforth)

Umkehr
Gedanken zur Woche
30.11.2018 - 06:35
07.09.2018
Peter Oldenbruch
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Die Gedanken zur Woche im DLF.

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Aus der Europäischen Union austreten – vorgesehen war das nicht. Doch Großbritannien hat sich in den Beratungen durchgesetzt: Der EU-Vertrag von Lissabon erlaubt seit 2009 den Austritt eines Mitgliedsstaates. Und genau das ist passiert. Im Vereinigten Königreich stimmten 2016 etwas mehr als die Hälfte der Wähler für den Austritt aus der EU. Und am 29. März 2019 wird die Mitgliedschaft Großbritanniens enden. So oder so, ob mit oder ohne Vertrag.

Aber: Irren ist menschlich. Und Irren ist somit auch britisch. Der Brexit wird wohl niemandem nutzen, sagen viele, eher wird er allen schaden. „Niemand gewinnt etwas, wir verlieren alle“, meint der niederländische Premier Rutte. Und auch in Großbritannien selbst wird die Bewegung für ein zweites Brexit-Referendum immer stärker. Ende Oktober dieses Jahres demonstrierten 700.000 Menschen in London für eine neue Abstimmung. Jetzt? Ist es dafür nicht zu spät? Ein schottisches Gericht hat den Europäischen Gerichtshof angerufen, um die Frage zu klären: Kann Großbritannien überhaupt noch einseitig den Austritt zurücknehmen? Würde ein Exit vom Brexit überhaupt funktionieren? Diese Woche hat der EuGH in Luxemburg darüber verhandelt. Ein Urteil wird‘s erst in ein paar Wochen geben. Der Exit vom Brexit – das wäre eine radikale Umkehr.

 

Umkehr … ist eine der großen Denkfiguren des Christentums. Kehrt um! Ein zentrales Thema Jesu. Und für die Umkehr gibt es kein „zu spät“. Kurz vor dem eigenen Tod verhöhnt einer der „Übeltäter“, die mit Jesus am Kreuz hingen, den mitgekreuzigten Jesus. Ein Kumpan, auch am Kreuz hängend, kritisiert den Spötter. Wendet sich an Jesus. Und sagt: „Denk an mich, wenn du in dein Reich kommst!“ Der sagt ihm: Heute wirst du mit mir im Paradies sein. In letzter Minute ist Umkehr möglich. Zugegeben: diese Umkehr bezieht sich auf den Glauben. Und auf den einzelnen. Beim Exit vom Brexit müsste es zu einem zweiten Referendum kommen, und dann geht es um die demokratische Entscheidung eines ganzen Volkes. Das kann man doch nicht vergleichen! Oder doch?

 

Mir geht es um die Umkehr in letzter Minute. Und um den Mut dazu. Umkehr in letzter Minute, wenn der eingeschlagene Weg offensichtlich falsch ist. Wenn Einsichten die Umkehr nahelegen, wenn man zugeben kann: Ich hab‘ mich geirrt, ich hab‘ mich verrannt.

 

Bert Brecht hat solche Umkehr einmal so verdichtet: Alles wandelt sich. Neu beginnen kannst du mit dem letzten Atemzug.“ In letzter Minute kann man umkehren. Aber Brecht wusste auch:

„Was geschehen ist, ist geschehen. Und das Wasser, das du in den Wein gossest, kannst du nicht mehr herausschütten.“ Könnten die Briten den Brexit also einfach absagen? Franz Mayer, Professor für Europarecht, meint, es gäbe da einen heiklen Punkt: Großbritannien, so Mayer, habe in der EU ein großes Maß an Sonderregeln für sich ausgehandelt. Das war eine very special membership. Denkbar wäre, dass ein anderes europäisches Land sagt: „Okay, ihr dürft bleiben – aber nur zu den Konditionen, die alle andern auch haben. Also ohne Britenrabatt. Ich bin mir jedenfalls nicht sicher, dass das ohne jedes Ruckeln über die Bühne ginge (…) Dazu ist zu viel passiert.“ Soweit Mayer (1).

 

Exit vom Brexit – das ist dann auch eine Frage an uns, die in der EU bleiben. Ich bin gespannt, wie das weitergeht. Und gebe gerne zu: Ich wünschte mir, die Briten könnten sich für eine solche Kehrtwende entscheiden. Und wir, der Rest der EU, sie ermöglichen. Denn bei allen Mängeln der EU: Das ist ja was, „dass Nationen, die sich früher gegenseitig Bomben schickten, heute nur noch Güter über den Kanal“ schicken (2). So sagte ein junger Brite.

Aber vielleicht ist es ja tatsächlich zu spät. Oder doch nur sehr spät. Oder sogar sehr, sehr spät. Und klar: das Wasser, das in den Wein gegossen wurde, kann keiner mehr herausschütten.

Aber: „Neu beginnen kannst du mit dem letzten Atemzug.“ (3)

 

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Es gilt das gesprochene Wort.

 

 

Literaturhiniweise:

  1. https://www.sueddeutsche.de/politik/brexit-eugh-mayer-1.4227563
  2. Der Spiegel, Nr. 48 vom 24.11.2018, 88
  3. Bertolt Brecht

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07.09.2018
Peter Oldenbruch