Kirche und Missbrauch

Gedanken zur Woche

epd-bild/Norbert Neetz

Die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) berät am Dienstagvormittag (13.11.18) in Würzburg über den Umgang mit sexualisierter Gewalt in ihren Einrichtungen. Die Hamburger Bischöfin Kirsten Fehrs trug den Bericht dazu vor (Foto: Zuhörer). Die 20 in der EKD zusammengeschlossenen Landeskirchen haben bereits beschlossen, zwei unabhängige Studien in Auftrag zu geben. Eine Untersuchung soll bundesweit Erkenntnisse über das Dunkelfeld beim Thema Missbrauch bringen, die andere soll Risikofaktoren für sexualisierte Gewalt in der Kirche aufzeigen.

Kirche und Missbrauch
Nur die Wahrheit macht frei
16.11.2018 - 06:35
07.09.2018
Eberhard Hadem
Über die Sendung

Die Gedanken zur Woche im DLF.

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Es war mucksmäuschenstill im Plenum, als am Dienstag Bischöfin Kirsten Fehrs der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland in Würzburg ihren Bericht vorträgt. Sie ist Sprecherin des EKD-Beauftragten-Rates für den Schutz vor sexualisierter Gewalt. Dieses Gremium gibt es seit September und nicht ganz freiwillig – die katholische Kirche hat gerade ihren Missbrauchsbericht vorgestellt, eine öffentliche Anhörung der Aufarbeitungskommission zur Aufklärung sexuellen Kindesmissbrauchs im Juni hat Druck gemacht. Bischöfin Fehrs war wie ihr katholischer Amtskollege Stephan Ackermann dabei und hat zugehört, was Betroffene zu sagen haben. Geschichten des Leids, die sich in misslungener Aufarbeitung fortsetzen. Als sie und ihr Amtskollege auch etwas sagen durften, hat man ihnen nicht geglaubt. Ihnen ging es, wie den Betroffenen sonst mit der Kirche, die viel zu oft nicht zuhört, ihnen nicht glaubt, was sie erlebt haben und immer noch erleben.

 

Jetzt hat das Kirchenparlament der Evangelischen Kirche Bischöfin Fehrs zugehört. Am Ende trägt sie einen 11-Punkte-Handlungsplan vor. Die Synodalen stehen auf, es gibt langen Applaus.

 

Die Wahrheit wird euch frei machen, sagt Jesus im Johannesevangelium (Joh. 8, 32). Das gilt auch für die furchtbaren Wahrheiten. Das gilt auch für die, die wegschauen, die auf diese Weise die Täter, ihr Ansehen, ihre Institution und nicht zuletzt ihre Macht schützen wollen. Auch für die, die meinten, das sei nur ein Thema der katholischen Kirche. Zu lange schon hat sich die evangelische Kirche unter den Missbrauchsskandalen der katholischen Kirche weggeduckt. Die Menschen machen hier schon längst keine konfessionellen Unterschiede mehr – jeder Skandal, jedes Vertuschen zerstört die Glaubwürdigkeit beider Kirchen.

 

Leicht haben es die furchtbaren Wahrheiten nicht. Es ist kein gutes evangelisches Profil, dass die nötige Aufarbeitung immer noch jeder einzelnen der 20 Landeskirchen selbst überlassen bleibt. Der 11-Punkte-Plan fordert die Etablierung einer bundesweiten, zentralen und unabhängigen Ansprechstelle, die dafür sorgen soll, dass die Anliegen von Betroffenen fachlich kompetent und behutsam aufgenommen werden. Bitte melden Sie sich – heißt es dort. Eine externe Gesamtstudie der Evangelischen Kirche in Deutschland soll identifizieren, wo und wie die Institution Kirche selbst ein Risikofaktor für sexuelle Gewalt ist, wo es Täter zu leicht haben und wo Kirche es sich zu leicht mit ihnen macht.

 

Derzeit sind 479 Missbrauchsfälle im Bereich der evangelischen Kirche bekannt, die meisten aus den Jahren 1950 bis 1970. So stellen es Untersuchungen in 10 der 20 Landeskirchen fest. Ohnehin ist die Dunkelziffer bei sexuellem Missbrauch hoch. Eine Studie soll herausfinden, wie viele Betroffene es wirklich gibt und warum sie sich bisher nicht getraut haben, sich mit ihren Geschichten an die Kirche zu wenden.

 

Am Mittwoch hat die Synode dem 11-Punkte-Handlungsplan zugestimmt. Einstimmig. Sie bekennt die Schuld der ganzen Institution. 1,3 Millionen Euro sind für die Aufarbeitung vorgesehen. Das wird nicht ausreichen. Denn Studien, Strukturen und Haushaltsmittel können unterstützen, aber eine glaubwürdige Wahrheit nicht herstellen. Die liegt, gar nicht zuletzt, eben auch am Glauben. Und der lässt sich wie alle mit ihm verbundene Autorität missbrauchen – zum Beispiel dann, wenn dem Opfer Schuld eingeredet wird. Zum sexuellen Missbrauch kommt der Missbrauch des Glaubens dazu, weil ein Kind so verführbar ist, so beeinflussbar. Das Kind glaubt, nicht der Täter, sondern es selber sei schuld. Wie ein böses Gift wirkt das lange nach. Erst recht, wenn vom Opfer im Namen des christlichen Glaubens Vergebung für den Täter verlangt wird – und womöglich Stillschweigen.

 

Es ist gut, wenn die Evangelische Kirche sich den furchtbaren Wahrheiten stellt, auf allen Ebenen. Eine Bewährungsprobe, die – so fürchte ich – noch nicht entschieden ist.

 

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Es gilt das gesprochene Wort.

 

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07.09.2018
Eberhard Hadem