Der Nicht-Könner

Morgenandacht
Der Nicht-Könner
21.07.2020 - 06:35
25.06.2020
Angelika Obert
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Ich will fit bleiben. Was für meine Gesundheit tun. Sehr Viele, so kommt es mir vor, haben in diesem Frühjahr mit ihrem guten Vorsatz ernst gemacht. Jedenfalls nahm die Zahl der Joggenden im Park beständig zu. Überall und zu jeder Tageszeit wurde da gerannt. Aber sicher hatte das nicht nur damit zu tun, dass die Gesundheit eben das große Thema dieser Wochen war. Das Laufen tut ja auch gut gegen die trüben Gedanken, die einen überfallen können, wenn man sich irgendwie eingesperrt fühlt – so wie es während des Lockdowns eben war. Wenn zu viel Zeit ist und zu wenig Ablenkung, können sie sich ja sehr breit machen: die alten Ängste, Sorgen, Zweifel, Frustrationen. Unzufriedenheit mit dem Leben, Unzufriedenheit mit sich selbst. Dagegen hilft das Joggen, das pustet den Kopf frei. Und frisch geduscht wieder zu Hause kann ich mir sagen: Jedenfalls hab‘ ich heut schon was geleistet.

 

Was ist mit denen, die das nicht hinkriegen? Mag sein, sie wissen sich anders zu behelfen. Aber vielleicht geht‘s ihnen auch richtig schlecht mit den trüben Gedanken allein zu Haus. Und dem schlechten Gewissen, so überhaupt nicht fit zu sein.

 

Von so einem Mann erzählt eine der Heilungsgeschichten in der Bibel. Ein Gelähmter wird er genannt. Damals lebten die Leute ja noch nicht so gesund. Die Gicht kroch schnell in ihre Knochen.

Und er war nun so einer, der sich kaum noch rühren konnte und sich immer weniger rührte, je länger die Schmerzen dauerten. Da lag er nun auf seinem Bett – ohne Smartphone und Laptop – den ganzen Tag sich selbst überlassen. Hatte sehr viel Zeit, sich zu grämen und zu schämen. Denn die andern um ihn herum waren ja noch fit, sie mussten ihn durchfüttern, sie mussten ihn pflegen. Er war‘s, der nix konnte. Der ihnen zur Last fiel. Aber wohl nicht nur wegen seiner Krankheit grämte und schämte er sich. Sein ganzes Leben kam ihm verpfuscht vor. Hatte er denn überhaupt je was zustande gebracht? Und es ist wahr: Er ging seiner Familie, den Nachbarn und Freunden allmählich ganz schön auf die Nerven. Mit seinem Nichtstun, seiner schlechten Laune, seinen Klagen. Wenn er doch bloß wieder gesund wäre! Da hätten sie es doch entschieden leichter.

 

Sie hofften auf eine Chance, als sie hörten, Jesus sei im Ort. Alle redeten ja davon: Er kann heilen. Brüder, Schwäger, Nachbarn verabredeten sich. Der Lahme wurde auf einer Liege zu dem Haus geschleppt, wo Jesus zu den Leuten sprach. Dort herrschte allerdings großes Gedränge. Es war kein Durchkommen. Die Männer wollten nicht aufgeben. Hintenrum fanden sie einen Weg, auf‘s Dach zu klettern, den Kranken hochzuziehen und ihn durch die Luke herunterzulassen, Jesus direkt vor die Füße.

 

Auf so ein Ereignis hatte die neugierige Menge wohl gewartet: Jetzt würden sie mit eigenen Augen ein Heilungswunder erleben. Aber Jesus ließ seine Hände ruhen. Er redete bloß. „Gut gemacht!“ sagte er zu den Männern, die ihm den Gelähmten vor die Füße gelegt hatten. „Hier gehört euer kranker Freund hin – mitten unter die Leute. Nicht versteckt im dunklen Kämmerlein.“

Aber zu dem Mann, der sich nicht mehr rühren konnte, sagte er: „Du bist frei. Du musst dich nicht grämen und schämen.“ „Dir sind deine Sünden vergeben“, heißt es in der Sprache der Bibel.

 

Die Leute waren enttäuscht: Jesus kann doch nicht heilen, murmelten sie. Aber den lieben Gott spielt er. Was soll denn das heißen? Du bist frei? Wenn er doch so mit Krankheit gestraft ist.

Bald konnten sie sehen, was es heißen sollte: Der Mann, der sich so lange nicht mehr rühren konnte, richtete sich auf, sah den Leuten ins Gesicht, konnte wieder Schritte tun.

Und Jesus guckte in die Menge und fragte: Was glaubt ihr denn, ist leichter: Einen Menschen von seiner Lebenslast zu befreien oder ihm die Knochen zu heilen? Vielleicht haben es einige damals verstanden: Wie sehr der Mann darunter gelitten hat, der Unfitte unter all den Fitten zu sein. Der Nicht-Könner. Und wie gut es wäre, wie heilsam für alle, keiner bliebe mit seinen dunklen Gedanken allein.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

25.06.2020
Angelika Obert