Gesicht zeigen

Morgenandacht
Gesicht zeigen
26.05.2020 - 06:35
07.05.2020
Stephan Krebs
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Gesicht zeigen war gestern. Seit genau einem Monat laufen wir wie die Bankräuber herum – zumindest in den Bahnen und Geschäften. Wenn früher jemand mit so einer Maske in eine Bank kam, versetzte er damit alle in Angst und Schrecken. Heute ist es eher anders herum. Maskenpflicht – wegen Corona.

 

Ich tue mich schwer damit. Warum eigentlich? Zunächst ganz praktisch: Die Maske ist unpraktisch – beim Atmen, beim Sprechen, beim Lächeln. Die Brille beschlägt. Aber das ist alles nicht so schlimm. Der Grund für meine Abneigung sitzt tiefer. Was es genau ist, verstehe ich mit der Bibel besser. In der Bibel kommt das Wort Maske nicht vor. Das ist nicht selbstverständlich, denn in anderen Kulturen und Religionen spielen Masken durchaus eine große Rolle. Da gibt es großartige Masken, kunstvoll geschnitzt und bemalt. Schamanen setzen sie auf, um böse Geister zu vertreiben oder gute anzulocken. Im antiken Theater trugen die Schauspieler Masken, um ihre Rolle kenntlich zu machen. Verbrecher wie die schon erwähnten Bankräuber, aber auch die Mitglieder des rassistischen Ku Klux Clans verbergen sich hinter Masken. Faßnachter bringen sich mit Masken in einen Ausnahmezustand jenseits ihrer sonstigen Regeln.

Bevor jemand im Fernsehen auftritt, muss er in die sogenannte Maske gehen. Dort wird er gepudert und geschminkt, damit das Gesicht vom Schweiß und in den Scheinwerfern nicht glänzt.

 

Masken schieben sich zwischen die Person und die übrige Welt. Manche greifen zur Maske um sich zu schützen. Andere verstecken sich oder schlüpfen mit der Maske in eine andere Rolle. Doch solche Masken kommen nur in besonderen Situationen zum Einsatz. Sie markieren Ausnahmen. Die Maske, die wir nun zum Schutz vor Corona tragen, gehört dagegen jetzt erst einmal fest zum Alltag. Keine Debatte mehr über das Vermummungsverbot bei Demonstrationen oder über die Verschleierung von Frauen.

 

Masken kommen in der Bibel nicht vor. In der jüdisch-christlichen Tradition gilt: Gesicht zeigen. Doch es gibt Ausnahmen. Zum Beispiel Mose und der Prophet Elia. Als sie Gott selbst begegnen, verhüllen sie sich – als Zeichen ihrer Ehrfurcht.

Auch der Kopf von Jesus wird verhüllt. Nach seiner Verhaftung, während der Folter. Das scheint, glaubt man Filmen und Berichten, heute immer noch üblich zu sein. Es macht die Opfer noch hilfloser.

Üblich ist auch heute noch Toten das Gesicht zu verhüllen. Auch das war schon zu biblischen Zeiten so: Jesus löst bei Lazarus die Verhüllung vom Gesicht und erweckt ihn von den Toten.

 

Aber im prallen Leben zeigt man sein Gesicht. In der Bibel wie heute. Der Alltagsspruch ist nicht nur scherzhaft: „Ab 30 ist jeder für sein Gesicht selbst verantwortlich.“ Das betont die eigene Verantwortung für sich selbst und damit auch für sein Erscheinungsbild. Das kann einem schwer fallen, wenn man sich nicht mag oder sich nicht schön genug findet. Aber es ist ein Ziel sagen zu können: „So bin ich von Gott gemacht. Und so ist es gut.“

 

Gesicht zeigen – damit mache ich mich als Person für andere erkennbar und ansprechbar. Menschen können auf mich reagieren – mit Blicken, mit einem Lächeln, mit Worten. Damit mache ich mich natürlich auch verletzlich und angreifbar – für böse Blicke, für böse Worte. Damit umzugehen, stark genug zu werden, das auszuhalten – dieses Ziel ist in der Bibel schon erkennbar: Zu sich stehen. Und zu anderen.

Dem dient die Kampagne „Gesicht zeigen“. Die Aktion wurde vor 20 Jahren in Berlin gegründet und zeigt Gesicht für ein weltoffenes Deutschland. Eine ganze Menge kann man tun, damit man sich morgens noch im Spiegel ansehen kann. Wenigstens dort gibt es keine Masken. Aber weil ich mich zuhause im Spiegel noch anschauen möchte, trage ich jetzt draußen eine Maske. Schließlich möchte ich niemanden anstecken. Derzeit ist das die angesagte Form Gesicht zu zeigen.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

 

Bibelnachweis

Exodus 3,6

1.Könige 19,13

Markus 14,65

Johannes 11,44

07.05.2020
Stephan Krebs