Glühende Kohlen fürs öffentliche Reden

Morgenandacht
Glühende Kohlen fürs öffentliche Reden
29.05.2018 - 06:35
01.03.2018
Ulrike Greim
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Du willst öffentlich reden? Gern. Warte hier einen Moment.

Es klimpert. Gerätschaften. Dann kommen zwei Engel und haben eine Zange mit glühenden Kohlen. Sie kommen näher. Sie berühren deine Lippen.

Was für ein Schmerz!

Du wachst auf.

Nächte später: der gleiche Traum. Du stehst wieder vor dem Thron des Höchsten. Kannst es kaum aushalten.

„Weh mir ich vergehe, denn ich bin unreiner Lippen und wohne unter einem Volk unreiner Lippen.“

Wieder kommen die Engel mit den glühenden Kohlen. Wieder kommen sie auf dich zu. Schweißgebadet wachst du auf.

 

Jesaja. Es ist Jesaja, der Prophet. Altes Testament. Kennst du. Kapitel sechs. Seine Berufung. Die Szenerie ist klar. Aber was hat sie mit dir zu tun? Wozu dieser Traum?

Du bist nur ein kleines Rad im Getriebe. Wenn du ans Mikrophon trittst – es löst keine Erdbeben aus. Du machst eben deinen Job. Willst dein Land nach vorn bringen. Zum Besseren ändern. Dafür bist du angetreten, hast die Ochsentour mitgemacht. Durch die Säle, durch die Gremien. Hast gewonnen. Du hast etwas erreicht. Kein schlechtes Ergebnis. Und nun die große Bühne. Und du sollst etwas sagen. Willst ja auch. Aber was? Ich meine: Hier zählt es. Die Kameras sind auf dich gerichtet. Das Protokoll schreibt mit. Wortwörtlich. Hast du etwas zu sagen?

Plötzlich werden die Schlagworte dünn. Die Argumentationskette brüchig. Vor dir das weiße Blatt Papier. Was zur Hölle gehört gesagt? Was kann ich schon sagen? Was ist wirklich wert? Welche der vielen Worte, die von diesem Pult kommen, sind überhaupt etwas wert? Hier wird geplappert und polemisiert. Ein Jahrmarkt der Eitelkeiten. Ein Dealen mit Positionen. Ein Ausverkauf vom letzten Tropfen Herzblut. Wer bleibt schon er selbst an diesem Mikro?

Weh mir, ich vergehe. Denn ich bin unreiner Lippen.

So sagt es Jesaja, der Prophet.

Andere sagen, es gehe um Profil, um Überzeugungskraft. Darum, dem Gegner das Fürchten zu lehren, ihn bloßzustellen, seine Schwachstellen offen zu legen. Ein Nahkampf. Und du denkst: Wieviel sinnlose Energie, die hier verschwendet wird. Habe ich die Kraft für diese Arena?

In der folgenden Nacht fehlt der Traum.

Atme. Höre deinen Herzschlag.

Du hast keine Gegner. Es ist Gott selbst vor dem du stehst. Er ist dein Richter. Vergiss die Kameras. Wäge deine Argumente wohl.

Dir wird heiß.

Der Allmächtige hätte es ja nicht gleich sein müssen.

Immer noch im Traum siehst du dich dastehen, wie nach einer Jagd, willst den Staub vom Ärmel streichen und siehst: Es ist nur ein Bettlaken in dem du dastehst, wie peinlich! O mein Gott! Schaust auf deine Schuhe: Sie sind viel zu groß und müssen geputzt werden. So darfst du niemals vor die Leute! Nackte Angst.

Spät kommt der Schlaf.

Als du diesmal wach wirst, wird das Bild klarer. Du musst die Wahrheit sagen. Dafür bist du doch angetreten. Für die Sache. Die heißt: Es sieht nicht gut aus. Und: Wir können noch etwas tun.

Du hast keine Wahl: Du musst sagen, was du kommen siehst. Andere sehen es nicht. Du siehst es. Du musst es beim Namen nennen. Und die Perspektive aufmachen. Zeigen, wo das Ziel ist. Damit sie wissen, wo sie hingehören.

Unter dem geht es nicht. Nur Mut!

Jeder Jesaja braucht Mut.

 

Und dann stehst du an dem wichtigen Pult. Dir brennen die Lippen.

Die Buchstaben verschwimmen auf dem Manuskript. Sie sind auch egal. Du sagst es. Sollen sie dir doch den Kopf abreißen. Du sprichst es aus, was passieren wird. Notgedrungen. In Gottes Namen. Ja, tatsächlich: Es sieht nicht gut aus. Wenn ihr so weitermacht: keine Chance. Du bringst die Zahlen, bringst die Fakten. Kurz und knapp und richtig. Dann skizzierst du den Weg, der jetzt noch gangbar ist. Und gehst. Lässt sie zurück. Es ist egal, was sie sagen. Wie süffisant sie lächeln. Gelangweilt auf ihre Displays starren, als würde Gott da präziser reden. Du gehst. Du hast deinen Job gemacht.

Diesmal kommen keine Engel, keine Kohlen. Diesmal kommt ein leichter Wind. Als wenn Gott lächelt.

 

 

 

Es gilt das gesprochene Wort.

01.03.2018
Ulrike Greim