Draußen vor der Tür

Morgenandacht

Gemeinfrei via unsplash/ Kevin Tadema

Draußen vor der Tür
01.02.2022 - 06:35
28.01.2022
Thomas Dörken-Kucharz
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Eine Tagung, übers Wochenende in einer kleinen Bildungsstätte. Ein ehemaliges Kloster. Abends sitzen wir Teilnehmenden gemütlich zusammen im historischen Gewölbekeller. Es ist nach Mitternacht, ich gehe kurz raus ans Auto, um noch irgendetwas zu holen. Als ich wieder ins Haus will, ist die Tür ins Schloss gefallen. Überrascht stelle ich fest: Ich habe keinen Schlüssel für die Haustür. Bei der Buchung war etwas schiefgelaufen und ich bin in einem Ersatzzimmer untergekommen. Dessen Schlüssel aber passt nicht. Also klingeln! Die Klingel läutet im Büro, aber da ist jetzt keiner. Die Hausleitung wohnt auch nicht vor Ort. Immerhin: Der Hausmeister hat neben der Klingel seine Handynummer angegeben - für alle Fälle! Nicht aber für diesen. Samstagnacht um 0.30 Uhr geht er nicht an sein Mobiltelefon. So stehe ich konsterniert draußen vor der Tür.

Das Problem: Mir ist kalt. Sehr kalt. Es liegen 20 cm Schnee und die Temperaturen bei minus 10 Grad. Kein Mantel schützt mich, ich stehe da in Hose und Pullover, weil ich ja nur schnell raus und wieder rein huschen wollte. Niemand hört mein Klingeln und niemand bemerkt, dass ich weg bin. Die anderen Tagungsteilnehmenden sind im fensterlosen Untergeschoss und denken wahrscheinlich, ich bin schlafen gegangen. Von keinem dort habe ich eine Handynummer. Ohne Mantel, Mütze und Handschuh wird einem bei minus 10 Grad ziemlich schnell ziemlich kalt, merke ich. Nach gut zehn Minuten bin ich durchgefroren. Also entschließe ich mich, die Nachtruhe zu stören, und fange laut an zu rufen. Nach weiteren 10 Minuten Frieren im Freien öffnet sich endlich ein Fenster. Ärgerlich fragt eine verschlafene Stimme, was los sei. Ich kann meine Lage schildern. Und wenig später wird mir geöffnet. Ich kann zurück in die Wärme.

Das Ganze war nicht wirklich bedrohlich für mich, nur unangenehm. Denn ich hatte zwar keinen Haus-, aber immerhin meinen Autoschlüssel. Und das Auto hätte mir im echten Notfall eine Heizung geboten. Und ohne Einlass ins Haus hätte ich mir dann auch irgendwo in der Nähe ein Hotel suchen können.

Zwei Erkenntnisse habe ich mitgenommen aus dieser Erfahrung. Ich habe eine (klitze)kleine Ahnung davon bekommen, womit Menschen ohne festen Wohnsitz im Winter täglich kämpfen müssen. Kälte, Nässe, Dunkelheit, Ungewissheit, Angst.

Wärmebusse und Notunterkünfte fand ich schon vorher gut, aber da habe ich zum ersten Mal gespürt, wie lebenswichtig, wie überlebenswichtig sie sind. Und die körperliche Erfahrung ist von anderer Qualität als das Wissen im Kopf.

Erfahren habe ich auch, wie schnell man ausgeschlossen sein kann. Durch eigenes Verschulden oder durch ein Versehen. (Türen und Schlösser sollen und müssen sichern und schützen. Dazu sind sie ja da. Aber es gibt immer auch die ungeschützte Seite. Schlüssel haben eine große Macht. Und die bringt eine große Verantwortung.)

Wo es ein Drinnen gibt, gibt es auch ein Draußen. Und auf welcher Seite man sich wiederfindet, ist manchmal von Faktoren abhängig, die man nicht voraussehen kann oder nicht im Griff hat.

Im Neuen Testament finde ich da eine provozierende Parallele. Jesus spricht im Lukasevangelium davon, dass man sich nicht zu sicher sein soll, auf welcher Seite man steht. „Und siehe, es sind Letzte, die werden die Ersten sein, und sind Erste, die werden die Letzten sein.“ (Lk 13,30)

 

Statt „Erste und Letzte“ hätte Jesus auch „drinnen und draußen“ sagen können oder vielleicht: „Siehe, es sind Ohnmächtige, die werden die Mächtigen sein, und es sind Mächtige, die werden die Ohnmächtigen sein.“

Wer ohnmächtig ist, ist auf Gnade angewiesen – und zwar durch diejenigen, die mächtig sind. Und die sollten schon deshalb oft und gern gnädig sein, weil sie schnell auf der anderen Seite landen können. Und dann sind sie selbst auf Gnade angewiesen.

Es gilt das gesprochene Wort.

28.01.2022
Thomas Dörken-Kucharz