Gemeinschaft trotz Krankheit

Morgenandacht
Gemeinschaft trotz Krankheit
14.09.2020 - 06:35
11.09.2020
Cornelia Coenen-Marx
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Mit Einbruch der Dunkelheit ist sie in Stuttgart losgefahren – jetzt ist es Mitternacht und Zeit für eine Pause. Bis nach Brandenburg liegen noch mindestens zwei Stunden noch vor ihr. Sie hatte sich entschlossen nachts zu fahren, damit sie im Lockdown nicht unnötig auffällt. Eigentlich ist es verboten, in ein anderes Bundesland zu reisen. Und eigentlich hält sie sich an die Quarantäneregeln, arbeitet schon lange im Homeoffice. Nur heute war etwas anderes noch wichtiger. Ihre Mutter wird 80. Und seit einem halben Jahr ist sie Witwe. Da soll ihre Mutter doch an diesem Tag nicht allein sein in dem großen Haus. Ihr Auto würde sie nachher in die Scheune stellen, damit es niemandem auffiel.

 „An Einsamkeit stirbt man bloß länger als an Corona“, sagt Elke Schilling. Sie hat den Telefondienst „Silbernetz“ gegründet, der sich inzwischen mit einem ganzen Team an einsame Ältere richtet. In der Krise haben sie sich bundesweit aufgestellt. Und der Dienst ist gefragt wie nie zuvor. Elke Schilling hat sich auch vom Lockdown nicht abhalten lassen, ins Büro zu gehen, obwohl sie über 70 ist. Sie wird gebraucht. Denn Einsamkeit macht krank, das weiß sie. Herz-Kreislauf-Probleme und Depressionen verschlechtern sich, wenn Menschen ihre Wohnung kaum noch verlassen. Oder wenn Bewohner von Altenheimen keinen Besuch mehr bekommen.

Isoliert im Pflegezimmer. Das heißt: außer der vermummten Pflegerin darf keiner ins Zimmer. Ob sie lächelt, sieht der Bewohner nicht. Pfleger tragen Mundschutz und Latexhandschuhe. Ich mag mir das gar nicht vorstellen. Es ist schrecklich, wenn man sich doch eigentlich nach Umarmungen sehnt. Viel zu viele haben das in den letzten Monaten schmerzhaft erlebt. Bewohner, Angehörige, gesetzliche Vertreter, Pflegekräfte.

Mehr als die Hälfte aller Todesfälle mit und an Corona hat sich in Pflegeeinrichtungen ereignet. Obwohl nur knapp ein Prozent der Bevölkerung in dieser Wohnform lebt. Die Verantwortlichen waren in den letzten Monaten immer in der Zwickmühle. Fehlende Schutzkleidung, der Mangel an Fachpersonal, unerfüllbare Coronaverordnungen - viele Mitarbeitende mussten im Widerspruch zu den eigenen Wertvorstellungen arbeiten. Denn wer krank ist, braucht Menschen. Wer sterbend ist, erst recht. Pflegende wissen das noch besser als andere. Und dieses Wissen ist ganz tief verankert in der christlichen Kultur. 

„Ist einer von euch krank? Dann rufe er die Ältesten der Gemeinde zu sich; sie sollen Gebete über ihn sprechen und ihn im Namen des Herrn mit Öl salben.“ heißt es im Brief des Jakobus.

Nicht nur Pflegeeinrichtungen gerieten wegen der Corona-Quarantäne in Kritik, sondern auch die Kirchen. Nicht wenige Kommentatoren formulierten das Gefühl, dass die Kirche gerade die alleingelassen hätte, die sie am meisten gebraucht hätten. Die Pflegebedürftigen, Kranken und Sterbenden. Und ihre Angehörigen. Viele Angehörige nahmen die Dinge selbst in die Hand. Sie machten Musik vor der Tür, zogen Körbe mit Obst an Seilen auf den Balkon, schickten tablets und Kameras in die Pflegezimmer. Konfirmandengruppen schrieben Briefe. Posaunenchöre spielten am Samstagabend. Und manche Ehepartner zogen sogar selbst ins Pflegeheim; Töchter holten die Mutter ins eigene Haus. So viele Ideen, Kreativität und Bereitschaft, das Risiko zu teilen! 

Ich bewundere das - auch wenn ich überzeugt bin, dass wir früher schon andere Lösungen hätten finden müssen. Mit Treffen in Parks und Besucherräumen, vor allem aber mit Pflegebedürftigen und Angehörigen gemeinsam. Es gab eine Fülle guter Vorschläge, wie man Gemeinschaft in Coronazeiten hätte gestalten können. Bis hin zum Teilumzug in ein leerstehendes Hotel.

Dass wir einander nicht im Stich lassen und füreinander eintreten, darauf kommt es an. Dass wir das Leiden der anderen teilen - gerade dann, wenn es hinter verschlossenen Türen stattfindet - darum geht es im Evangelium. Und auch bei uns.

Es gilt das gesprochene Wort.

 

 

 

11.09.2020
Cornelia Coenen-Marx