Bimm, bamm, bumm.

Wort zum Tage
Bimm, bamm, bumm.
05.06.2020 - 06:20
30.01.2020
Lukas Pellio
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Bimm, bamm, bumm. Die Melodie von „Bruder Jakob“ geht mir nicht mehr aus dem Kopf.

Es ist mein Corona Song, sozusagen.

Die Gottesdienste hatten wir abgesagt. Die Kurve der an Corona Erkrankten stieg steil an. Wie viele andere hatten wir angefangen zu läuten – jeden Mittag um 12 Uhr eine der drei Glocken an der Bernauer Straße – mitten auf dem ehemaligen Mauerstreifen.

Früher hing sie in der alten Versöhnungskirche. Bevor die Kirche 1985 gesprengt wurde, konnte die Glocke gerettet werden. Vor 20 Jahren wurde sie wieder aufgehangen und seitdem läutet sie vor der Kapelle der Versöhnung.

Jetzt ist Kontaktverbot. Keine mittäglichen Andachten für die Toten der Berliner Mauer mehr. Keine Schulklassen, die vergeblich eine Erklärung für das Töten an den Grenzen suchen. Keine Besuche aus aller Welt.

Nur das Läuten blieb. Dieses mittägliche Läuten wurde mein Fixpunkt. Und Elkes, die am Seil zog und die Glocke in Schwingung brachte. Elke, die manchmal auch einem Kind den Vortritt lies.

Unser Fixpunkt. Und dann kam Ursula und sagte: „Ich brauche das jetzt! Ich muss singen!“

Seitdem sangen wir jeden Mittag um 12 Uhr. Nah beieinander aber mit viel Abstand – die „Füße auf weitem Raum“.

Bruder Jakob, Bruder Jakob, schläfst du noch, hörst du nicht die Glocken?

Bimm, Bamm, Bumm. Wir waren da. Sahen einander. Lauschten erst den Glocken. Und sangen dann. Jeden Mittag. Irgendwann fingen wir an uns abzumelden, wenn eine mal einen Tag nicht konnte oder wollte.

Ich dachte ja lange, der Bruder Jakob hätte einen über den Durst getrunken und würde deshalb so tief schlafen, dass sogar Glocken ihn nicht wecken konnten.

        

Dabei war der Bruder Jakob ein Mönch, der für das Läuten des Nachtgebets eingeteilt war, verschlief und von seinem Mitbruder geweckt wurde. Denn während auf Deutsch „Hörst du nicht die Glocken?“ gesungen wird, heißt es im französischen Original „Frère Jacques... sonnez les matines“ – also sinngemäß: Bruder Jakob, läuten Sie zur Mette, zum Nachtgebet!

Es geht um eine feste, rhythmisierte Tagesstruktur.

Den Wert eines Rhythmus habe ich schätzen gelernt, als Corona meinen Tagesablauf durcheinandergebracht hat.

Kein frühes Wecken der Kinder zur Schule. Dank der Videokonferenzen kam die Arbeit wann immer sie wollte zu mir nach Hause; und mir fehlten die Radfahrten quer durch die Stadt zu den gewohnten Treffen und Terminen.

Die Glocke und Bruder Jakob gaben mir Rhythmus in einer Zeit, wo mir meine sonstige Tagesstruktur abhandenkam. Ja, sie gaben mir Halt.

Darum: „Merci, Frère Jaques!“ Du hast zwar geschlafen, statt zu läuten, aber ohne dich hätte ich jetzt nicht diesen wunderbaren Ohrwurm.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

 

30.01.2020
Lukas Pellio