Ein Buch gegen den Tod

Wort zum Tage
Ein Buch gegen den Tod
25. Todestag Elias Canetti
14.08.2019 - 06:20
13.06.2019
Barbara Manterfeld-Wormit
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Wer will, kann heute ständig sein Leben optimieren. Indem er Ratgeber liest. Auf meinem Nachttisch warten verschiedene – je nach Lebenslage – darauf, aus mir einen besseren Menschen zu machen. Sie tragen Titel wie: „Von der Kunst des Aufräumens“ oder „Wie Frauen erfolgreich verhandeln“. Seit kurzem hat sich ein besonderes Buch dazugesellt. Ich kann nicht lange darin lesen. Auch nicht täglich. Es liegt ganz unten im Bücherstapel, weil mir der schwarze Buchdeckel zu düster erscheint und sein Titel zu ernst: „Das Buch gegen den Tod“. Autor: Elias Canetti, der berühmte Schriftsteller und Aphoristiker, der für sein Werk 1982 mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet wurde. Das Buch wurde erst nach seinem Tod veröffentlicht. Es geht darin um ein Thema, das die meisten verdrängen, bis es nicht mehr anders geht. Canetti hat sich mit diesem Thema zeitlebens auseinandergesetzt. Sein Buch ist eine Kampfansage. Ein Versuch, sich dem Tod zu nähern, ihm zu widerstehen, ihm die Stirn zu bieten. Eine aphoristische Sammlung aus autobiografischen Notizen, philosophischen und naturwissenschaftlichen Betrachtungen und Zitaten – mal klagend, mal zornig, mal ironisch, mal poetisch. Überall, wo Elias Canetti der Tod im Leben begegnete, griff er zu Zettel und Stift. Und schrieb dabei Sätze wie: „Metastasen: heute das am meisten verbreitete griechische Wort. Für sie einspringen sollen Metamorphosen“ (1) oder: „Die Auferstandenen klagen plötzlich Gott an: das wahre Jüngste Gericht.“ (2) Am beeindruckendsten finde ich diesen Satz: „Du sollst nicht sterben (das erste Gebot).“ (3) Elias Canetti kannte sich aus in den Schriften der Religionen. Und dachte sie weiter, hinterfragte, provozierte. Auch viele Texte aus einem anderen großen Buch gegen den Tod: aus der Bibel. Auch sie ist eine Sammlung von Texten, Geschichten, Gedanken, die sich nicht abfinden wollen mit ihm. Einer der kämpferischsten steht im 1. Korintherbrief des Paulus: „Der Tod ist verschlungen in den Sieg. Tod, wo ist dein Stachel? Hölle, wo ist dein Sieg?“ (1. Kor 15,55) Der Stachel des Todes steckt immer noch in der Welt – und in mir. Mit jeder Traueranzeige, die ins Haus flattert, in jeder Nachrichtensendung und manchmal auch nachts, wenn ich nicht schlafen kann, spüre ich ihn. Besiegt ist er nicht. Aber es ist gut, ihm hin und wieder ins Auge zu blicken. Zu spüren, dass man mit seiner Angst und seinen Fragen nicht allein ist, sondern eingebettet in das Fühlen und Denken vieler Menschen – vor und nach uns. Elias Canetti starb heute vor 25 Jahren im Alter von 89 Jahren in Zürich und bekam seinen Wusch erfüllt: „Er hoffte, von Gott unbemerkt, lange zu leben.“ (4)

 

Es gilt das gesprochene Wort.

 

  1. Elias Canetti, Das Buch gegen den Tod. Frankfurt am Main 2015, S. 284.
  2. A.a.o., S.49.
  3. A.a.O., S.19.
  4. A.a.O., S.18.
13.06.2019
Barbara Manterfeld-Wormit