Nachlassverwertung

Wort zum Tage
Nachlassverwertung
22.07.2016 - 06:23
01.08.2016
Pfarrerin Melitta Müller-Hansen

Was bleibt, wenn wir nicht mehr sind? Diese uralte Frage der Menschheit lässt sich auch ganz pragmatisch beantworten: Auf jeden Fall eine Menge Hausrat. Möbel, Wäsche, Bilder, Bücher, Briefe. Das Geschirr von dem wir gegessen, die Kleider, die wir getragen, das Bett in dem wir geschlafen haben, ein Spiegel, in den wir geschaut haben. Was wertvoll ist, geht an die Kinder. Der antike Kleiderschrank, das Service von den Großeltern, der Schmuck, ein paar Briefe, Fotos. Für ein paar Sachen findet sich vielleicht noch ein Käufer. Der Rest kommt auf den Sperrmüll.

 

Unter dem Ladenschild in meiner Straße steht „Nachlassverwertung“ – ich stehe in einem halbdunklen Raum zwischen Nierentischchen, alten Spiegeln und kitschigen Gemälden. Dazwischen Sammeltassen und ein gusseisernes Kreuz. Auf wessen Schreibtisch hat es wohl einmal gestanden? Und wer hat sich in diesem Spiegel betrachtet? Was bleibt, wenn wir nicht mehr sind?

 

Beim Wort „Nachlassverwertung“ beschleicht mich ein mulmiges Gefühl. Reicht es nicht, dass schon unendlich viele Bereiche unseres Lebens nur noch nach Nützlichkeitsaspekten betrachtet werden? Muss auch noch nach meinem Tode ganz am Ende etwas Nützliches herauskommen? Muss alles verwertbar sein? Auf der anderen Seite ist es um manche Dinge einfach zu schade, um sie wegzuwerfen. Sie verdienen es, aufgehoben zu werden. Sie verdienen noch eine Chance, anderen weiter zu gefallen so wie hier in diesem kleinen Laden, der Vergangenes aufbewahrt.

 

Was also bleibt, wenn ich nicht mehr bin? Am Ende immer noch die Erinnerung – an gemeinsame Zeiten, an das, was ich Kindern und Freunden und Kollegen war, an das, was mich ausgemacht hat: der Klang meiner Stimme, der Gang meiner Schritte, ein Foto, eine Tasse…

 

Und die „Nachlassverwertung“ – das, was ewig bleibt: das überlasse ich getrost Gott. Ich stehe im Halbdunkel des Lädchens und halte eine alte, bunt bemalte Vase in der Hand. Ja, so möge es sein ganz zum Schluss: Dass da einer ist und so auf mich schaut und mich liebevoll in der Hand hält und von allen Seiten betrachtet. Und mich am Ende aufhebt, weil ich kostbar bin.

01.08.2016
Pfarrerin Melitta Müller-Hansen