Schöpfung und Materie

Aja-von-Loeber Ausstellung

Schöpfung und Materie
Aja von Loepers Kunst aus Papier
03.07.2022 - 07:05
11.06.2022
Eberhard Hadem
Über die Sendung:

Weiß ist der Kern von Aja von Loepers künstlerischer Arbeit. Aus weißem Papier formt sie Landschaften, Strukturen, erzeugt Reibung und Druck. Pfarrer Eberhard Hadem sieht in Aja von Loepers Kunst eine Parallele zur Schöpfungsgeschichte: Gott formt den Menschen aus Staub und bläst ihm Leben ein.

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Die bildende Künstlerin Aja von Loeper ist die Erfinderin einer neuen Kunst. Sie selbst würde das in ihrer Bescheidenheit niemals von sich sagen. Sie habe eher etwas über einen langen Zeitraum ge-funden und nicht er-funden, sagt sie. Was in ihrer Kunst entsteht, ist auf jeden Fall das Ergebnis einer harten, ausdauernden Arbeit. Sie malt oder zeichnet nicht auf einem Papier, sondern das Papier selbst ist Gegenstand ihrer Kunst. Und zugleich wirkt das Papier an der Entstehung des Kunstwerks entscheidend mit. Die Lyrikerin Nora Gomringer, die von Loeper in ihrem Atelier in Nürnberg besucht hat, beschreibt es so:

 

Nora Gomringer:

Mithilfe von kleinen Kolben aus Buchenholz, die die Künstlerin selbst bearbeitet, damit sie ihr als Griffel zum Streichen und Schaben dienen und gut in der Hand liegen, (…) arbeitet sie die Oberfläche und die Schichten des Kartons in einer Weise auf, dass das Papier sich zu ergeben scheint. Ein ‚Noch-viel-mehr‘ an Weiß gibt es preis (…) und offenbart (...) sich uns. (1)

 

Aja von Loeper entlockt dem Papier durch teils kräftige, teils zarte Reibung mit dem Buchenkolben dreidimensionale Erhebungen. Das Eigenleben des Papiers dehnt sich nach oben, als ob die Fläche embryonal zu leben beginnt. Nora Gomringer sagt:

 

Nora Gomringer:

Die Künstlerin prägt nicht, sie hebt, regt die Oberfläche des 250-Gramm-Kartons an, sich zu wölben, ihrem Griffel noch mehr Fläche zu schenken, die dann in kleiner Geste, die einer Schraffurbewegung gleicht, aufgelöst wird. (2)

 

Aja von Loeper raut das weiße Papier auf, ohne es zu verletzen. Es gibt keine Risse oder Wunden im Papier. Vielmehr bilden sich Landschaften wie im Gebirge, dazu kristalline Strukturen, Weiß in Weiß gehalten, durch Reibung und Druck entstanden. Von den materialen Bestandteilen in der traditionellen Kunst ist bei von Loeper nur noch das Papier geblieben. Und zwar ausschließlich weißes Papier. Für Aja von Loeper ist Weiß der Kern ihrer künstlerischen Arbeit. Das ist es, schreibt sie, was mich im Wesentlichen reizt. Sie sagt:

 

Aja von Loeper: 

Also meine Kunst sieht so aus, dass einfach eine plane Pappe daliegt. Darauf ein weißes Blatt Papier, und ich selber habe nichts weiter als ein Stück Holz in der Hand. Dieses Stück Holz kann man sich vorstellen eigentlich wie ein Handschmeichler, vorne zugespitzt. Ja, und mit diesem Stück Holz reibe ich auf diesem weißen Blatt. Das heißt von oben natürlich. Und durch diese Reibung dehnt sich das Papier, es wölbt sich nach oben, und zugleich entstehen unterschiedliche Arten von Strukturen, je nachdem, wie ich mit diesem Stück Holz auf diesem Blatt reibe. Das heißt, mal platzen die Fasern einfach so auf, dass es wuschelig aussieht, dass es wirklich ja sogar an Schnee erinnert; kristalline Strukturen offenbar werden. Und dann gibt es eben noch die – im Gegensatz dazu – glatte Strukturen. Und die erinnern wiederum an Gletscher. Also das hat wirklich was von Berglandschaften.

 

Aja von Loeper, 1971 geboren, im schwäbischen Schwarzwald aufgewachsen, wollte eigentlich leidenschaftlich gerne Torhüterin einer Handballmannschaft werden. Dann aber riet die Trainerin ihrer kleinen Hände wegen davon ab. Aus der großen jugendlichen Enttäuschung wurde ein Glück für die Kunst. Dazu gehört ihr Klavierspiel, besonders gerne Frédéric Chopin, der mit seinem Fingerspiel in der Musik einen neuen Ausdruck suchte. Nach einer Ausbildung zur Physiotherapeutin und Gymnastiklehrerin wird ihr das ganze Potential des eigenen Körpers erst viel später bewusst, als sie auf dem weißen Papier, das auf dem Boden liegt, zu arbeiten beginnt:

 

Aja von Loeper:

Ich knie darauf, stundenlang und ja, bewege mich wirklich auch auf diesem,

sitze auf diesen weißen Blatt Papier und teilweise im Vierfüßlerstand. Ich brauche für

diese ganz großen weißen Blätter wirklich meine gesamte Körperkraft.          

Aufgrund dieser Ausbildung, würde ich sagen, konnte ich überhaupt nur so arbeiten,

wie ich das jetzt tue.

 

Es ist ein langer Weg bis zu dieser Arbeitsweise mit dem Papier. Aja von Loeper beginnt zunächst ein Studium an der Nürnberger Akademie der bildenden Künste. Etwas abseits, im großen Wald im Osten Nürnbergs, findet sie ihr besonderes Wald-Atelier: 16 Jahre kniet sie bei gutem Wetter vor einer ganz bestimmten Birke, vor sich das weiße Blatt Papier. Auf die Frage, was sie da eigentlich mache, antwortet sie: ‚Ich führe ein Gespräch mit diesem Baum.‘ Ihr Ziel ist nicht, das Wesen des Baums als eigene Idee auf das Papier zu bannen. Sondern im Gespräch mit dieser Birke entsteht ein Drittes, das über die beiden Gesprächspartner hinausweist. Ohne den Baum hätte sie das niemals entwickeln können, wären auch die entstandenen Strukturen im weißen Papier nicht möglich gewesen. In ihrem Wald-Atelier hat sie so viel in der Natur gelernt, dass das weiße Blatt inzwischen als alleiniges Material fürs Gespräch genügt, ohne irgendetwas dazwischen. Als sie im Jahr 2000 mit dem allerersten von ihr bearbeiteten weißen Blatt auf dem Rad nach Hause fährt, macht sie eine alltägliche, aber zugleich überwältigende Erfahrung:

 

Aja von Loeper: 

Dieses erste weiße Blatt, habe ich, auf der Pappe liegen gehabt, habe eine Schnur

drumherum gewickelt und habe das unter meinen Arm geklemmt, bin auf meinem

Rad vom Wald durch die ganze Altstadt gefahren, und da war dann tatsächlich auf

einer Stelle der Straße, da hab ich gesehen, das war so gewölbt, und da platzte sozusagen die Kraft von unten, von der Erde nach oben, sodass sich wirklich die Straße gewölbt hatte. Und ich hatte wirklich zum ersten Mal in meinem Leben – ich bin ja auch Hunderte von Malen über die gleiche Stelle gefahren – und ich hatte aber zum ersten Mal wirklich das Gefühl: Ich kann die Erde unter dem Asphalt spüren. Und das war so ergreifend für mich, dass ich gemerkt habe: Also, keine Ahnung, was es soll mit diesem weißen Blatt, aber das ist mein Weg.

 

Aja von Loeper im Gespräch mit dem weißen Papier – lässt sich das auch als ein Miteinander von Geist und Materie beschreiben, die hier für ein Gespräch zusammenkommen? In der Geschichte der Menschheit, erst recht im Blick auf die Entwicklung des Lebens, ist das Verhältnis von Geist und Materie eine der elementarsten Fragen. Ist die Materie bestimmend oder doch eher der Geist? Was ist überhaupt Materie? Und was ist Geist?

In der Schöpfungserzählung der Bibel macht Gott den Menschen aus Staub von der Erde und bläst ihm den Atem des Lebens ein. Aus Materie wird ein lebendiges Wesen. Der Geist Gottes, hebräisch die ruach, fährt in die Materie, so wird aus ihr ein lebendiges Wesen.

Mit der Aufklärung der Neuzeit und erst recht, seit Charles Darwin die Evolutionsgeschichte entdeckt hat, lässt die Naturwissenschaft den göttlichen Geist außen vor. Für sie ist die Materie an sich, die Natur, der Gegenstand des Interesses. In der Welt der mechanistischen Physik war man der Auffassung, alle materiellen Dinge seien festgelegt in Raum und Zeit, also determinierte Objekte, aus denen sich dann auch die Höhe des menschlichen Geistes entwickelt habe.

Mit der modernen Quantenphysik hat sich diese Vorstellung gewaltig verändert: Materie besteht aus etwas, das nicht Materie ist. Es gibt, so sagt der Quantenphysiker Hans Peter Dürr, allenfalls Strukturen, die Eigenschaften der Materie haben, die eine immaterielle Grundstruktur allen Lebens überlagern (3). Im Immateriellen ist nichts festgelegt. Alles ist möglich. Und damit ist offen, welche komplexen Strukturen sich aus den einfachsten Strukturen des Lebens entwickeln werden.

Der Schock, den die Quantenphysik auslöst, ist groß. Weil sie erkannt hat, dass die Welt der Quanten eine ungeheure Summe von potentiellen Möglichkeiten bereithält. Tatsächlich aber legt erst unsere Aktivität durch Messung oder Beobachtung fest, welche Möglichkeiten wirklich Realität werden und welche nicht. Natur lässt sich nicht mehr von außen beschreiben. Wir als Beobachtende sind Teil dieser Natur. Es scheint fernab unserer Alltagserfahrung zu sein, dass menschliche Beobachtung über die reale Existenz oder Nichtexistenz von etwas entscheidet. Doch ohne die Quantenphysik wären technische Fortschritte nicht möglich gewesen, die wir selbstverständlich im Alltag nutzen, die vor allem in der Medizin mit Ultraschalldiagnostik und Magnetresonanztomografie zum Einsatz kommen.

Die kaum vorstellbare immaterielle Grundstruktur enthält jedes potentiell mögliche Leben im Kosmos. Diese Entität – so sagen die Forschenden – hat mehr Ähnlichkeit mit dem Geistigen als mit dem Materiellen, und zwar in dem Sinne, dass es ganzheitlich ist, dass es keine Teile hat und dass es nicht materiell ist (4). Mit anderen Worten: Es existiert eine universelle Einheit, die die vollständige Entwicklung des Kosmos mehr erklären kann als es bisher möglich war. Einige Forschende nennen diese Einheit ‚Protýposis‘. Dieses ‚Vorgeprägte‘ besitzt die potentiellen Möglichkeiten, sich sowohl zu Energie und Materie, aber auch zu Gedanken, zu geistigen Konzepten und schließlich zu Bewusstsein entwickeln (5).

Als Theologe verstehe ich den Schöpfungsatem Gottes als eine Analogie zu dieser universellen Protýposis. Und ich wünsche mir, dass diese gedankliche Verbindung dem Gespräch zwischen Naturwissenschaft und Theologie dient, und zwar im Sinne einer vorsichtigen Annäherung. Der Quantenphysiker Hans Peter Dürr lehnt sich weit aus dem Fenster, wenn er auf die Frage nach dem ‚Atem Gottes‘ sagt:

 

 

Hans Peter Dürr:

Meiner Auffassung nach gibt es das Immaterielle im Gegensatz zum Materiellen gar

nicht. Denn alles ist sozusagen der ‚Atem Gottes‘. Man könnte das Materielle so

beschreiben, dass Teile dieses Atems anfangen zu erstarren und so das Unbelebte

bilden. Aber das Wesentliche ist immer das, was ‚Atem‘ genannt wird (6).

 

In der Welt der Quanten hat die universelle mögliche Einheit aller Inhalte des Kosmos (7) seine Vergangenheit geprägt. Aber sie bestimmt auch unser Leben heute. Und auch unsere Zukunft. Sie ist offen. Das heißt: Die Welt entsteht jeden Augenblick neu. Religiös gesprochen: Der Atem Gottes weht, der schöpferische Geist differenziert sich weiter und weiter.

 

Wenn Materie und Geist tatsächlich eine Ganzheit sind, könnte die Kunst von Aja von Loeper die naturwissenschaftliche Vorstellung einer Protýposis transparenter und verständlicher machen. Für mich tut sie das, wenn ich wahrnehme, wie sie als Künstlerin arbeitet, und wenn ich ihre Kunstwerke betrachte. Es bleibt eine Annäherung, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Denn in von Loepers Kunst ist das Papier – die Materie also – Teil des schöpferischen Prozesses.

 

Aja von Loeper:

So was kann man eben nicht einfach erfinden, sondern es entsteht. (…

Es geschieht. Ja, würde ich auch so sagen.) Allerdings ist es wirklich so, dass ich

ganz genau entscheiden kann, welche Strukturen ich haben möchte: Rau, glatt und

die ganzen Zwischenstufen. Allerdings passiert da immer was, was überraschend ist.

Und es ist grundsätzlich so, dass ich am Anfang schon eine gewisse Vorstellung

habe. Ja, ob jetzt diese Form, dieses skulpturale Gebilde, ob das vielleicht am Ende

mir entgegenkommen soll oder wie schwebend aussieht oder aber auch einfach wie

eine Insel aussieht oder irgendetwas irgendeine Richtung hat. Und dann ist es aber

wirklich so, während dem Prozess, während des Arbeitens löse ich mich von allem

und bin ganz im Tun. Und es entsteht. Und ich bin offen für Veränderungen für das,

was sich mit dem Papier ereignet.                                                              

Das weiße Blatt Papier ist für mich wie ein Partner, mit dem ich da arbeite und mit

dem ich im Gespräch bin. Also ich, ich spreche mit dem weißen Blatt.

So was kann man eben nicht einfach erfinden, sondern es entsteht.

Es geschieht. Ja, würde ich auch so sagen. Allerdings ist es wirklich so, dass ich

ganz genau entscheiden kann, welche Strukturen ich haben möchte: Rau, glatt und

die ganzen Zwischenstufen. Allerdings passiert da immer was, was überraschend ist.

Und es ist grundsätzlich so, dass ich am Anfang schon eine gewisse Vorstellung

habe. Ja, ob jetzt diese Form, dieses skulpturale Gebilde, ob das vielleicht am Ende

mir entgegenkommen soll oder wie schwebend aussieht oder aber auch einfach wie

eine Insel aussieht oder irgendetwas irgendeine Richtung hat. Und dann ist es aber

wirklich so, während dem Prozess, während des Arbeitens löse ich mich von allem

und bin ganz im Tun. Und es entsteht. Und ich bin offen für Veränderungen für das,

was sich mit dem Papier ereignet.

Das weiße Blatt Papier ist für mich wie ein Partner, mit dem ich da arbeite und mit

dem ich im Gespräch bin. Also ich, ich spreche mit dem weißen Blatt.

Dabei muss ich sofort an die biblische Schöpfungserzählung denken. Sie wird als ein Gespräch zwischen Gott und der Schöpfung erzählt, in Wort und Antwort. Gott spricht: Es werde. Und es geschah so (Gen.1, 3.6c). So wie Aja von Loeper den künstlerischen Vorgang ihrer Arbeit als ein intimes Gespräch beschreibt, bei dem das Papier ebenso nichtsprachlich kommuniziert wie die Schöpfung mit dem Schöpfer:

 

Aja von Loeper: 

Es gibt so einen wunderschönen Satz auch von Paul Cézanne, den Künstler, den ich

anfangs während meiner Schulzeit nie verstanden habe, und dann aber geliebt habe

am Ende, weil ich mich so intensiv mit ihm befasst habe. Und der hat so schön

gesagt: ‚Sehen Sie die Teller und Tassen dort. Sie sprechen miteinander, sie

tauschen unentwegt Vertraulichkeiten miteinander aus.‘ Und genau das ist auch das,

was ich bei dem weißen Blatt Papier spüre. Also, ich sehe ein weißes Blatt und habe

das Gefühl ja, ich, ich möchte, ich möchte was erfahren, bin neugierig und lass mich

jedes Mal wieder neu darauf ein und spreche und arbeite. Und dann kriege ich wie

was geschenkt.

 

Die Kunstwerke Aja von Loepers spiegeln die großen Themen der Kunst wider: Materie, Licht, Raum, Natur – und die Zeit, wenn auch verborgen im Weiß. Nora Gomringer bringt es ihrerseits auf den Punkt:

 

Nora Gomringer:

Die Künstlerin schafft so große Monumente der Zeit und Entropie, alle Kraft, die in

die Arbeiten eingeht, tritt aus ihnen hervor, wird sichtbar, beinahe fühlbar, ohne sie

zu verlassen. Aja von Loeper ist die Übersetzerin dieser Kraft, eine, die um das Weiß

weiß – ohne Zweifel. (8)


Fast 100 Jahre vorher beschreibt der Maler und Kunsttheoretiker Wassily Kandinsky, dass Weiß etwas Großes sein kann, weil es auf unsere Psyche wie ein großes Schweigen wirke…

 

Nora Gomringer:

...was manchen Pausen in der Musik ziemlich entspricht, den Pausen, welche (…)

ein definitiver Abschluss einer Entwicklung sind. Es ist ein Schweigen, welches

nicht tot ist, sondern voll Möglichkeiten. Das Weiß klingt wie Schweigen, welches

plötzlich verstanden werden kann. Es ist ein Nichts, welches jugendlich ist, oder,

noch genauer, ein Nichts, welches vor dem Anfang, vor der Geburt ist. So klang

vielleicht die Erde zu den weißen Zeiten der Eisperiode. (…) Nicht umsonst wurde

Weiß als reiner Freude Gewand gewählt und unbefleckter Reinheit. (9)

 

Aja von Loeper hat im Jahr 2001 bei einem Besuch auf Mallorca, der Insel, auf der auch Frédéric Chopin sich hat inspirieren lassen, jene geburtliche Erfahrung ihrer Kunst gemacht, dass das weiße Papier eine atmende, lebendige Materie ist:

 

 

Aja von Loeper:

Und mich hat es so gedrängt, und dann saß ich irgendwann auf so einem Acker, da

war ein ganz mickriger Baum und habe mich davorgesetzt. Und ich habe gemerkt, irgendetwas muss raus aus mir. Und ich habe dann so stark auf diesem weißen Blatt gerieben mit meinem Stück Holz. Dass es eben plötzlich so gekommen ist, dass es sich nach oben gewölbt hat und aufgeplatzt ist, also ganz ähnlich eigentlich wie  dieser Asphalt, den ich da vorher erlebt hatte. (…) Und erst dann fing das an, dass ich wirklich nur noch mit dem weißen Blatt gearbeitet habe (…) Und es war natürlich sehr anstrengend, und man hat es gesehen. Und da hat man sich gewundert, was es soll, aber es hat Zeit gebraucht, um das zu entwickeln. Um es so zu entwickeln, dass es wie… atmet, dass es aussieht wie lebendige Materie, die ich da aus diesem Blatt Papier aus diesem weißen Blatt entstehen lasse.

 

Aja von Loepers Kunst zeigt mir, wie die Materie eine Mitarbeiterin im schöpferischen Prozess ist. Das entspricht als Analogie dem Auftrag Gottes in der Schöpfungserzählung: Die Erde lasse aufgehen. Die Erde bringe hervor Gras und Kraut (...) und Bäume (…) und lebendiges Getier (Gen.1,11f. und 24). So geschieht es. So entsteht alles. Ein wichtiger Übergang, der die Evolutionsgeschichte nicht nur möglich macht, sondern sie freisetzt und notwendig macht. Für mich als Theologen schafft dies eine schöne Basis und eine große Freiheit für das Gespräch mit der Naturwissenschaft, das mir am Herzen liegt.

Ich bin Teil der Natur und ungeheuer gespannt, wie es mit ihr weitergeht – und wie es mit unserer Erde weitergeht. Gerade in der Sorge um die Zukunft von Klima und Ressourcen. Ich begreife, dass Natur kein Schicksal ist, sondern jede und jeder von uns Anteil hat mit vielen Möglichkeiten und so mitbestimmt, welche davon Realität werden können – und welche nicht.
Wissenschaft und Kunst machen Lust auf Leben. Und verbinden sich für mich mit der Liebe zu Gott, dem Schöpfer. Und zu seiner Schöpfung, die immer weitergeht.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

 

 

 

Musik dieser Sendung:

 

  1. Frédéric Chopin, Prelude No. 13 Fis-Dur, op. 28, Vladimir Ashkenazy, CD: Chopin Waltzes 4 Scherzos 26 Preludes
  2. Agnes Obel, Louretta, CD-Titel: Philarmonics
  3. Agnes Obel, Wallflower, CD-Titel: Philarmonics
  4. Agnes Obel, Falling, Catching, CD-Titel: Philarmoncis
  5. Frédéric Choping, Waltz cis-Moll, op. 64 no. 2, Vladimir Ashkenazy, CD-Titel: Chopin Waltzes 4 Scherzos 26 Preludes
     

Literaturangaben:

1.       Nora Gomringer, Kunstmagazin Artmapp 2019, S.98.

2.       Gomringer, Artmapp, S.99.

3.       Dürr u.a. Gott, der Mensch und die Wissenschaft. Pattloch 1997, S.140 und S.143

4.       Dürr, S.143

5.       Frido Mann / Christine Mann (Hrsg.), Im Lichte der Quanten. Konsequenzen eines neuen Weltbilds. wbgTheiss 2021, S.23.

6.       Dürr, S.140.

7.       Mann/Mann, S.69.

 

 

Es gilt das gesprochene Wort.

11.06.2022
Eberhard Hadem