Muße für Gott

Morgenandacht
Muße für Gott
28.09.2020 - 06:35
24.09.2020
Lucie Panzer
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„Atem holen“ so heißt ein Angebot der Kirche, das ich in diesem Jahr für mich entdeckt habe. Eine geistliche Auszeit, die mich für gute zwei Wochen auf den Schwanberg führte, einen Hügel in Mainfranken zwischen Nürnberg und Würzburg. Dort, auf dem Schwanberg, lebt eine geistliche Gemeinschaft. Die Communität Casteller Ring. Das Besondere an dieser Gemeinschaft ist: Es ist ein evangelischer Orden. Evangelische Benediktinerinnen, die nach der Regel des Ordensgründers Benedikt leben: Gütergemeinschaft, Ehelosigkeit, Gehorsam. Und vor allem: Beten und arbeiten. Die Schwestern kommen täglich viermal zum Gebet zusammen und singen Psalmen. Mindestens dreimal wöchentlich feiern sie das Abendmahl, das sie feierlich gestalten und Eucharistie nennen. Gäste wie ich sind zu allen Gottesdiensten eingeladen. Und meiner Seele tut das gut.

 

Ungewohnt, dass das alles evangelisch sein soll. Martin Luther ist aus dem Kloster ausgetreten. Gelübde für Ordensfrauen und Mönche hat er heftig kritisiert, sie schränken die Freiheit eines Christenmenschen ein. Und außerdem: Das Leben in Ehe, Partnerschaft und weltlichem Beruf ist mindestens so viel wert wie ein Ordensleben. Diese Gedanken der Reformation waren wirkmächtig. Sie haben dazu geführt, dass das Ordensleben im Bereich des Protestantismus fast aufgehört hat.

 

Fast, aber nicht ganz.

Trotz aller Kritik hat Luther auch einzelne Frauen und Männer unterstützt, ein Leben als Kommunität, als Orden zu führen. Er hat sogar evangelische Regeln für Ordensgemeinschaften geschrieben. Muße, also Zeit für Gott haben, ganz frei sein für Gott, so hat Luther positiv den Sinn des Ordenslebens beschrieben. Nicht mehr, aber auch nicht weniger wert als andere Berufe. Ein Christenmensch ist ein freier Mensch und niemandem untertan, schrieb Luther. Und in solcher Freiheit kann ein Mensch auch sagen: Ich geh jetzt ins Kloster.

 

Gottesdienst, Gebet, Meditation und Stille prägen den Tagesablauf von Ordensmenschen. Und dazwischen wird gearbeitet. Nicht nur zum Selbsterhalt des Klosters, sondern für Gäste wie mich. Für Sinnsucher, die ein paar Tage Ruhe, Erholung, Orientierung suchen. Oder für Trauernde: Die Schwestern auf dem Schwanberg kümmern sich um einen Friedwald, wo Verstorbene ihre letzte Ruhestätte finden. Für mich war das ein wunderbarer Ort, um spazieren zu gehen, über Tod und Leben nachzudenken. Wie im Kloster, so bin ich auch auf dieser Erde ein Gast.

 

Ich denke weiter über die Gastlichkeit von Klöstern nach. Sie geht so weit, dass mancherorts auch Asylsuchende in Klöstern aufgenommen werden. Eine Äbtissin soll dafür nun vor Gericht stehen. Sie hat in ihrem Konvent mehrfach Kirchenasyl gewährt. Für Menschen wie Maria, eine junge Ehefrau und Mutter aus Eritrea. „Als Christin stehe ich in der Pflicht, Menschen in Not beizustehen, erklärt die Ordensfrau. „Ich verstehe nicht, warum ich dafür bestraft werden soll.“ Ich bewundere den Mut und die Energie dieser Ordensfrau. Und ich denke mir: Solcher Mut, solche Stärke hat seine Wurzeln im täglichen Gebet.

 

Ich bin sicher nicht für ein Leben im Kloster berufen. Aber ich bin dankbar, dass es Klöster und Ordensgemeinschaften gibt, egal ob evangelisch oder katholisch.

Die Zeit im Kloster hat mir klar gemacht: zum Leben als Christ gehört ein guter Rhythmus von Beten und Arbeiten. Das tägliche Beten darf nicht zu kurz kommen. Und die Arbeit ist nicht nur Gelderwerb, sondern vor allem Dienst am Mitmenschen. Dasein für diejenige, die gerade in Not ist, auch wenn es für mich unbequem ist. Beten und Arbeiten gehören zusammen. Mit zwei Sätzen der Ordensfrauen will ich mir das zu Herzen nehmen: Zum einen mit dem täglichen Gebetsruf der Schwestern „Gott, öffne meine Lippen, damit ich dich lobe“. Zum anderen mit dem Satz der Äbtissin: „Als Christ stehe ich in der Pflicht, Menschen in Not beizustehen“.  

24.09.2020
Lucie Panzer