Natur oder Schöpfung?

Morgenandacht
Natur oder Schöpfung?
04.02.2019 - 06:35
03.01.2019
Autor des Textes: Eberhard Hadem
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‚Wo ist Gott noch, wenn wir die Natur inzwischen fast vollständig erklären können?‘, fragt mich der Naturwissenschaftler. Er sei immer schon skeptisch gewesen, ob Gott überhaupt existiere. Er könne nicht verstehen, warum Christen immer noch an einen Schöpfergott glauben. Die Wissenschaft könne die Natur längst ohne Gott erklären. Und die Natur könne prima ohne ihn existieren. Der Mensch sei nur eine Spezies unter vielen, und – mal ehrlich – gewiss nicht die verantwortungsbewusste Krone der Schöpfung. Der Glaube, dass Gott Erde und Mensch irgendwann einmal in guter Absicht geschaffen habe, der gehöre doch längst in die Mottenkiste der Vergangenheit.

Wie kann man Gott überhaupt denken? Der Naturwissenschaftler ist da nüchtern und analytisch: ‚Gott‘, sagt er, ‚ist so eine Art Lückenbüßer für alles, was die Wissenschaft noch nicht erklären konnte. Und Euch Gläubigen macht der Lückenbüßer-Gott Angst, weil ihr befürchtet, dass Gott irgendwann ganz vertrieben sein könnte. Und ganz ehrlich, Herr Pfarrer, dann sind Sie arbeitslos!‘

Rums, jetzt liegt der Ball deutlich bei mir im Feld. Und er hat natürlich Recht. Als ich junger Student der Theologie war, hatte ein Zeitgenosse an die Außenwand der Theologischen Fakultät in großen Buchstaben gesprayt: ‚Gott ist tot‘. Diese Behauptung war ja nicht mehr ganz neu. Aber ein anderer schrieb drunter: ‚Und ihr alle seid arbeitslos!‘ Jetzt ging‘s ans Eingemachte! Professoren und Studenten beschlossen, dass diese beiden Sätze dort stehen bleiben und die Wand nicht gesäubert werden sollte.

Die Drohung mit Arbeitslosigkeit zeigt: Die Frage nach Gott ist existentiell. Die eigentliche Herausforderung für mich als Theologen ist aber: Haben Menschen überhaupt noch Bilder von Gott im Kopf? Oder sind es nur noch Karikaturen wie der alte Mann mit Bart auf der Wolke? Wie soll ich von Gott reden in einer Welt, in der viele Menschen Gott überhaupt nicht denken können? Was ist denn eine Schöpfung, wenn der Mensch die Natur weitgehend erforschen und erklären kann? Sind Schöpfung, Schöpfergott, Bewahrung der Schöpfung nur noch moralische Begriffe, die mit den harten Fakten der Naturgesetze nichts zu tun haben? Kurz gesagt: Die Wissenschaft versteht die Natur, und die Religion fordert lediglich, sie gut zu behandeln als Schöpfung Gottes. Das ist zwar eine nette Arbeitsteilung – aber ist das wirklich die Alternative?

Der Physiker und Nobelpreisträger Steven Weinberg sagt: Die letzten Naturgesetze, wenn wir sie entdeckt haben, (…) werden etwas Eisiges, Kaltes und Unpersönliches an sich haben. (1)  Er empfinde zwar auch die Schönheit die Natur. Er staune sogar darüber. Immerhin bleibt dem Physiker damit ein Rest an Geheimnis. Gerade noch ein kleines Plätzchen für den Lückenbüßergott also. Mir ist das zu wenig.

Das Geheimnis der Schönheit, die Kraft des Staunens verstehe ich als einen Hinweis darauf, dass Gott in allem ist. Ich sehe Gott nicht als von der Natur getrennt. Am Anfang des Schöpfungsliedes, in den ersten Worten der Bibel wird gesagt: dass der Geist Gottes schwebte über dem tohu wa bohu. Wüst und leer heißt das übersetzt. Vielleicht ist mit dem Tohuwabohu auch das gemeint, was der Nobelpreisträger eisig, kalt und unpersönlich nennt. Dann aber heißt es im Schöpfungslied weiter, dass der Geist Gottes nicht mehr über dem Tohuwabohu schwebt, sondern eindringt in die Erde, in die Menschen und in alles, was lebt auf Erden und im Himmel. Der Atem Gottes erweckt den Klumpen Lehm, den Menschen, die Natur zum Leben. Ein Bild für die Tiefe dessen, was Schöpfung meint.

Ohne dieses Bild zerfallen Mensch und Natur in ihre Bestandteile, am Ende nicht mehr als ein Klumpen von Staub und Asche. Mit diesem Bild erfahre ich – ich bin gewollt. Ein Teil der Natur, die leben soll wie ich selbst. Wer sich öffnet für den Gedanken, dass Gott in allem Leben ist, wird neu nachdenken können. Er wird sicher Widersprüchliches finden. Aber auch die Welt anders anschauen, auf eine Weise, die ihn staunen lässt. Die ihn verbindet mit allen Geschöpfen. Und mit Gott. Mit guten Gründen.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

 

  1. Zitiert nach: Jörg Zink. Ufergedanken. München 2017, Seite 125 (Neuausgabe desselben Titels Gütersloh 2007)

 

03.01.2019
Autor des Textes: Eberhard Hadem