Neue Rituale finden

Morgenandacht
Neue Rituale finden
28.11.2020 - 06:35
20.11.2020
Matthias Viertel
Sendung zum Nachhören

Die Sendung zum nachlesen: 

 

Morgen ist der 1. Advent, ein Fest, das auch an die eigene Kindheit erinnert. Vielleicht sind deshalb im Advent die Rituale so stark, weil es ein gutes Gefühl ist, wenn wenigstens in einigen Bereichen des Lebens alles genau so bleibt, wie es schon immer war. Gerade weil unsere Gesellschaft sich in einem atemberaubenden Tempo entwickelt, möge doch bitte die Advents- und Weihnachtszeit so sein, wie wir es schon als Kinder kennen und lieben gelernt haben.

Und doch wird in diesem Jahr alles ganz anders. Viele der gewohnten Traditionen sind wegen der Ansteckungsmöglichkeit zu gefährlich, und auf manches Ritual muss dabei wohl verzichtet werden.

Im Internet kursiert gerade ein Text, der das Dilemma aufgreift, Weihnachten unter den Bedingungen des social distancing zu feiern. Der Text beschreibt die aktuelle Not mit den Maßnahmen zur Eindämmung der Coronapandemie am Beispiel der Weihnachtskrippe. Die wird nun ja wieder hervorgeholt und zu Weinachten aufgestellt. Aber wie sollen wir die Figuren der Krippe richtig aufstellen, wenn dabei die Hygieneregeln bedacht werden, an die sich die meisten nun schon einigermaßen gewöhnt haben?

Also: Josef und Maria sind noch ganz unkompliziert, sie können mit dem Christkind zusammen im Stall platziert werden, vorausgesetzt dass die Heilige Familie auch aus einem Haushalt kommt. Dann wird es schon schwerer: Da sind zunächst die Hirten, im Plural, gehen wir also mal von drei Hirten aus, die wahrscheinlich nicht miteinander verwandt sind. Und dann die Weisen aus dem Morgenland. Drei Könige, also auch drei Haushalte, so dass am Ende mindestens 9 Personen aus 7 Haushalten zusammenkommen. Das ist derzeit gar nicht erlaubt.

Die Lösung ist einfach: Die Weisen aus dem Morgenland kommen erst am 6. Januar dazu, dann sind die Hirten schon wieder nach Hause geschickt worden. Außerdem ist darauf zu achten, dass Hirten und Könige den Mindestabstand zur Krippe einhalten und natürlich auf einem Zettel Name, Adresse und ihre Anwesenheitszeit genau notieren. Darüber hinaus könnten mit Markierungsband auch noch die Wege gekennzeichnet werden, auf der einen Seite in den Stall hinein, auf der anderen wieder heraus, damit sich niemand zu nahekommt. Nur bei den Himmlischen Heerscharen wird die Organisation unübersichtlich. Aber die haben zu dem irdischen Geschehen sowieso genügend Abstand, so dass man sie getrost außer Acht lassen kann.

Weihnachten und Advent zu Corona-Zeiten mit social distancing, das ist durchaus eine ernste Angelegenheit. Auch, wenn dieser Text aus dem Internet die Sache vergnüglich betrachtet und mit Humor dazu beiträgt, die ernsthaft schwierige Situation leichter zu ertragen. Für viele Menschen wird die Einsamkeit in den Tagen von Advent und zu Weihnachten noch erdrückender, wenn alle Geselligkeit wegfällt. Kein geselliges Gänseessen, keine Weihnachtsfeier, weder im Betrieb noch im Sportverein, und auch keine Plauderei an der Punschbude auf dem Weihnachtsmarkt. Es wird in diesem Jahr vieles fehlen, was die Wochen bis Weihnachten immer so reizvoll gemacht hat.

Das kann man kritisieren, darüber traurig sein. Mir fällt es leichter, darin eine Chance zu sehen, die Vorweihnachtszeit neu zu entdecken. Alte Rituale, die längst zur Routine geworden sind und kaum mehr hinterfragt werden, müssen durch neue Ideen ersetzt werden. Das ist eine Aufgabe, die lohnen könnte: Alles, was in der Weihnachtszeit immer mehr zum Geschäft geworden ist, jetzt zu ersetzen durch das, was Weihnachten wirklich wichtig ist. Allein bleiben sollte dabei niemand, selbst dann nicht, wenn wir den Mindestabstand einhalten. Warum nicht mal Julklapp mit den Nachbarn statt Gedränge auf dem Weihnachtsmarkt. Wenn das Jesuskind im Stall liegt, dann lässt sich Weihnachtsmusik auch im Treppenhaus der Mietswohnung spielen. Und der Einkauf für die Rentnerin in der Nachbarschaft wird mit einem selbst gemachten Adventskalender zu einem echten Geschenk.

Es gibt Möglichkeiten, die Adventszeit zu gestalten und neue Rituale zu entwickeln. Vielleicht kommen sie dem Weihnachtsfest sogar näher als manches, auf das ich aus Rücksicht jetzt verzichten muss.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

20.11.2020
Matthias Viertel