Du wirst werfen ihre Sünden ins Meer

Wort zum Tage
Du wirst werfen ihre Sünden ins Meer
26.10.2019 - 06:20
29.08.2019
Eberhard Hadem
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Es gibt eine wunderbare Fähigkeit von Wasser, die ein jüdisches Ritual deutlich macht, genannt Taschlich. Das Ritual zeigt auf sinnenfällige und sinnbildliche Weise die Kraft der Buße und der Vergebung aus dem Wasser. Seit dem 14. Jahrhundert wird es in jüdischen Gemeinden gefeiert, nicht in der Synagoge, sondern draußen, am Meer, an einem Fluss, einer Quelle, an einem fließenden Gewässer. Am jüdischen Neujahrsfest Rosch ha-Schana werfen die Gläubigen symbolisch für ihre Sünden Brotkrümel ins Wasser und bitten Gott um Vergebung für das, was im alten Jahr war, damit sie befreit, zuversichtlich und mutig ins neue Jahr gehen können.

Das hebräische Wort taschlich heißt übersetzt ‚du wirfst‘ und erinnert an einen Satz des Propheten Micha, der von Gott sagt (7,19b): Er wird alle unsere Sünden in die Tiefe des Meeres werfen. Ursprünglich ist dieses Ritual offenbar im christlich geprägten Rheinland entstanden. Von dem italienischen Chronisten Petrarca wird berichtet, die Bevölkerung Kölns habe sich am Neujahrstag, am 1. Januar, an den Rhein begeben und Stroh und Blumen ins Wasser geworfen. Damit mit ihnen alles Übel des vergangenen Jahres auf Nimmerwiedersehen von den Wellen ins Meer getragen werde.

Jüdische Gemeinden haben diesem christlichen Ritual ihre eigene Tiefe gegeben. Es gibt keine festgelegte Liturgie, sondern vor allem Gebete und Bibelverse. Die Gläubigen gehen ans Wasser und werfen Brotkrümel aus den Taschen der Kleidung hinein, die das Auflösen der Sünden symbolisieren. Dabei beten sie: Wir streben danach, das neue Jahr im Geiste der Demut, der Prüfung unseres Herzens und der spirituellen Erneuerung zu beginnen. Heute treten wir an dieses Wasser, um die Taschlich-Zeremonie zu vollziehen, um so zu versuchen, unsere angesammelten Sünden und Übertretungen symbolisch fortzuwerfen, um unsere unwürdigen Gedanken wegzuwerfen, damit wir unsere Herzen und unsere Seelen reinigen, nun, da das neue Jahr beginnt.

Manche jüdische Gemeinden lehnen das Ganze bis heute als ‚magisches Ritual‘ ab. Andere sehen darin eine Hilfe, befreit und gelöst ins neue Jahr zu gehen, weil das, was falsch und verkehrt war, im Wasser aufgelöst und verschwunden ist. Ich kann daraus sogar ein kleines persönliches Ritual machen, indem ich an ein Bachufer gehe oder auf einen Steg am See. Es könnte ein Stein sein, der in die Tiefe fällt; oder auch Brotkrumen, die sich auflösen. Und bevor ich sie ins Wasser werfe, schaue ich sie mir an und benenne auch, was ich damit gerne loswerden möchte. Ich darf neu anfangen.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

 

Taschlich-Gebet zitiert nach: Greenberg, S. / Levine, J.D. (Hg), Mahzor Hadash – The New Mahzor. Rosh Hashanah & Yom Kippur (Newly Enhanced Edition), Bridgeport (Conn. USA) 2002; dieses neue amerikanische Gebetbuch benutzt z.B. die liberale jüdische Gemeinde ‘Beth Shalom’ in München

29.08.2019
Eberhard Hadem