Familiäre Bande

Morgenandacht
Familiäre Bande
16.09.2019 - 06:35
18.07.2019
Holger Treutmann
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Über den Besuch von Verwandten freut man sich in der Regel zweimal:

Wenn sie kommen und wenn sie wieder gehen.

 

So ist das mit der Familie.

Gut, wenn man weiß, wo die eigenen Wurzeln liegen und mit wem man zusammengehört. Schön, wenn Beziehungen nicht erst gesucht werden müssen, sondern von Natur aus gegeben sind.

 

Anstrengend sind die familiären Bande aber auch.

Die Tante, die einfach nur peinlich ist.

Das Familienoberhaupt, das immer im Mittelpunkt stehen muss.

Der Cousin, der sich von einer Feier zur nächsten frisst.

 

Sich zu distanzieren, das fällt bei weitläufigen Verwandten leichter. Mit den Allernächsten ist das schon schwieriger. Vater und Mutter, die Kinder, die Geschwister.

Da ist die emotionale Bindung höher. Und jede Verstimmung schmerzt.

 

Gefährdet scheinen dann nicht nur die Beziehungen untereinander, sondern gleich auch die Idealbilder von Familie:

Die Familie als kleinste Einheit des Staates.

Die Heilige Familie mit Vater, Mutter und Kind in der Krippe im Weihnachtsfrieden.

Die guten alten Zeiten, als alle Generationen vermeintlich friedlich unter einem Dach füreinander gesorgt haben.

 

Der Realität entsprechen solche Idealbilder schon längst nicht mehr – falls sie das überhaupt je getan haben. Etabliert haben sich neue Familienstrukturen: Kleinstfamilien mit Alleinerziehenden, Patchworkfamilien, Regenbogenfamilien. Auch da: Idealisierung auf der einen Seite, überfordertes Stöhnen auf der anderen...

 

Die Bundesregierung hat im Sommer ein „Starke-Familien-Gesetz“ auf den Weg gebracht. Zielgenau sollen Familien gestärkt werden, vor allem die Kinder, mit besseren Leistungen beim Kinderzuschlag und für die Bildung. Soziologische Studien bestätigen, dass die Familie in der unübersichtlichen Welt bei jungen Leuten einen hohen Stellenwert hat. Obwohl – vielleicht sogar gerade weil – ihnen in den digitalen Medien unzählige Freundschaften und Communities offen stehen.

 

Was aber Familie ist und was sie sein sollte, das konnte auch zu Jesu Zeiten schon zu Konflikten führen. Geradezu unheimlich ist es den Verwandten Jesu, wie sich dieser aus dem Familienverband löst. Seine Mutter, seine Brüder, die Schwester: Sie wollten ihn zurückholen in gesicherte Verhältnisse.

 

Siehe, heißt es in der Bibel,

deine Mutter und deine Brüder und deine Schwester draußen

fragen nach dir.

Und Jesus antwortete ihnen und sprach:

Wer ist meine Mutter und meine Brüder!

Und er sah ringsum auf die,

die um ihn herum saßen und zuhörten:

Siehe, das ist meine Mutter und das sind meine Brüder!

Denn wer den Willen Gottes tut,

der ist mein Bruder und meine Schwester und meine Mutter. (Mt. 12, 46-50)

 

Eine Backpfeife für die engsten Vertrauten.

Jesus lässt sie abblitzen und spricht stattdessen zu denen, die ihn umgeben.

Das sei seine Familie.

Manchmal sind klare Zurückweisungen nötig, auch wenn sie schmerzen.

 

Sich von den herkömmlichen Bindungen lösen zu können, das erfährt hier größte Wertschätzung durch Jesus. Die eigenen Entscheidungen nicht immer davon abhängig machen, was die anderen sagen und denken könnten, sondern Jesu Beispiel folgen und mit seinem Leben selbst verantwortet vor Gott geradestehen.

 

Seine Begleiter auf diesem Weg nennt Jesus Schwestern und Brüder. Bis heute nennen sich Christenmenschen untereinander Schwestern und Brüder. Nicht weil sie so wunderbar als Familie miteinander harmonieren, sondern weil sie Gott als Vater haben und Jesus Christus an ihrer Seite, als Bruder jenseits aller zeitlichen und räumlichen Grenzen.

 

Ein Widerspruch zu Fürsorge und Liebe in der Familie ist das nicht. Jesus vertraut seine Mutter noch am Kreuz einem seiner Jünger an. Seine Brüder und Schwestern werden Teil der ersten Gemeinde.

 

Mich macht Jesu Umgang mit Familie, Freunden und Begleitern gelassener. Gerade da, wo sich neue Formen des Zusammenlebens etablieren oder Familien nicht dem überlieferten Idealbild entsprechen. Die entscheidenden Maßstäbe sind Fürsorge und Liebe, in der Familie und unter Freunden.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

18.07.2019
Holger Treutmann