So geschämt

Wort zum Tage
So geschämt
28.01.2019 - 06:20
03.01.2019
Ulrike Greim
Sendung zum Nachhören
Sendung zum Nachlesen

Er hatte nur noch einmal kurz die Augen zugemacht und war wieder eingeschlafen. Seine Frau hatte ihn immer gewarnt: Wer noch einmal einschläft, träumt schlecht. Aber er war müde und hatte doch heute eine Stunde länger Zeit. Und hat schlecht geträumt. Denselben bösen Traum, wie schon so oft.

Er ist im Nebel. Irgendwie auf dem Weg ins Büro. Nur zu Fuß. Als er durch die Drehtür kommt, mustern ihn die Frauen an der Pforte scheel. ‚Meine Güte, was ist mit ihm? Ist er wirr?’

Da schaut er an sich herunter und sieht: Er steht da – nur im Hemd. Keine Hose.

Peinlichst berührt dreht er sich weg. Sieht an der Garderobe noch ein altes Sakko hängen und schnappt es sich. Eine Pförtnerin findet ein paar alte Schuhe und ein Handtuch. Er solle es sich umhängen.

Schweißgebadet wacht er auf.

Die immer gleiche Angst. Sie lässt sich nicht abschütteln. Er hat eigentlich so viel erreicht, stellt was dar. Es ist, als würde das nicht gelten.

 

Als sie ihm damals die goldene Kette über die Robe gehängt haben – alle haben geklatscht, er hat Blumen bekommen, auch die Frau Gemahlin – da dachte er, jetzt hat er es geschafft. Keiner kann ihm was. Das Amt wird ihn schützen. Und sein Talent. Er argumentiert souverän, er ist satisfaktionsfähig – auch in höchsten Kreisen.

Und im Herzen der ewig kleine Junge, der Mal um Mal beschämt werden kann. Schutzlos den Blicken der Großen ausgeliefert. Man gebe ihm ein Handtuch.

Er zieht den Morgenmantel über, geht in die Küche und macht sich Kaffee.

Wer deckt ihn? Wer mildert seine Scham? Wer hält seine schützende Hand davor, dass man nichts sieht?

 

Sein kluger Freund, der Maler, sagt, das sei die Angst vor dem Versagen. Die sei nicht verwerflich, sondern auch ein Zeichen von Professionalität. Schlimm, wenn er sich seiner zu sicher wäre. Wisse, wofür du hier stehst. Wisse um die Fallhöhe deiner Entscheidungen. Sei ein Mensch. Wie Jesus in der Krippe: antastbar, schutzbedürftig.

 

Er stellt die Tasse beiseite und geht sich anziehen. Das Hemd: weiß und gestärkt. Die Hose, das Sakko. Seine blank geputzten Schuhe.

Noch einen Schluck Kaffee, dann muss er gehen. Nimmt den Mantel. Den Hut. Seine Aktentasche.

Solange nichts Anderes wild in deinem Herzen pocht, bist du hier richtig. Geh zu deiner Arbeit. Antastbar und schutzbedürftig. Innerlich barfuß. Dann bist du wach.

 

Es gilt das gesprochene Wort.

03.01.2019
Ulrike Greim